Zum Inhalt dieser Ausgabe
|
Newroz, das kurdische Neujahrsfest, lebt. Allein in Diyarbakir, der
einstmals auch als »heimliche Hauptstadt Kurdistans« bezeichneten Metropole im
Südosten der Türkei, versammelten sich eine Million Menschen am gestrigen 21.
März, dem traditionellen Neujahrsbeginn in der Region. Über Jahrzehnte hatten
die türkischen Regierungen und Militärjuntas das Fest als separatistische
Veranstaltung verboten: Die trotzdem durchgeführten Kundgebungen waren durchweg
massiver Staatsgewalt ausgesetzt. In diesem Jahr zogen zwar immer noch
hochgerüstete Heere von Polizei und Armee verschiedenenorts in der gesamten
Türkei auf, und es kam auch zu Übergriffen und Verhaftungen; indes blieben die
meisten Massentreffen von den Uniformierten unbehelligt.
Die Forderung nach einem Ende »aller Gewalt« sowie der »Diskriminierung der
kurdischen Bevölkerung« in der Türkei stand im Mittelpunkt von Newroz 2005. Sie
richtete sich vorrangig an die Adresse von Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan. Von diesem verlangte unter anderem Leyla Zana, er solle die »kurdische
Frage« endlich wahrnehmen. »Der türkische Premier behauptet, es gebe keine
Folter; derweil werden unsere Frauen auf offener Straße gefoltert.« Die
ehemalige Parlamentsabgeordnete und langjährig Inhaftierte hatte die rund 100
000 Menschen auf dem Newroz-Fest in Sanliurfa in der immer noch offiziell
verdächtigen kurdischen Sprache begrüßt.
Vielerorts standen die Newroz-Feiern im Zeichen der »demokratischen kurdischen
Emanzipationsbestrebungen«, so ein Aufruf zur Teilnahme an den Veranstaltungen
in Kurdistan. Längst überfällig sei, angesichts Ankaras EU-Beitrittsbemühungen
die kurdische »Agenda endlich auf die Tagesordnung Europas und der Türkei« zu
setzen. Dabei klang bei manchem Redner große Hoffnung in die EU an: Diese werde
entscheidend zur einer Lösung der kurdischen Frage beitragen. Auch wurde
manchenorts Kurden und Arabern in Irak zu ihrer »demokratischen Willensäußerung« bei der von den
USA-Besatzern angeordneten »Wahl« gratuliert.
Die Freilassung des auf der Gefängnisinsel Imrali seit über sechs Jahren
isolierten Ex-PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan spielte auf den meisten
Newroz-Veranstaltungen eine Rolle. Porträts des »Serop Apo« (Führer Apo) wurden
ebenso wie PKK-Fahnen gezeigt. Zu Polizeiübergriffen kam es nach der Feier in
Mersin. In Sirnak, wo erst vor wenigen Wochen fünf Jugendliche von Militärs zu
Tode gefoltert worden waren, versammelten sich trotz massiver Einschüchterungen
über 10 000 Menschen. Panzerwagen mit maskierten MG-Schützen waren um den Festplatz
herum postiert, Scharfschützen auf den Dächern der umliegenden Häuser plaziert.
»Laßt uns die Reihen enger schließen, damit der Krieg keine Chance hat«,
forderte Musa Farizoglu von der Zentrale der legalen kurdischen
Demokratiepartei des Volkes (DEHAP). In Van feierten 250 000, in Urfa und
Mardin jeweils bis zu 100 000 Menschen. Auch außerhalb der kurdischen Gebiete,
wie bereits am Sonntag in Istanbul und Ankara, gab es Demonstrationen für eine
»demokratische Föderation von Kurden und Türken«.