Erste Gesamtdarstellung der Roten Hilfe

Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland

Die vorliegende Arbeit von Nikolaus Brauns untersucht die verschiedenen Aufgabengebiete der Roten Hilfe von der Sozialfürsorge für die Familien politischer Gefangener über die juristische und rechtswissenschaftliche Tätigkeit bis hin zu illegalen Fluchthilfeaktivitäten und dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Arbeitsweise der Roten Hilfe wird an den großen nationalen und internationalen Kampagnen deutlich, die sich um für die damalige Zeit so legendäre Namen wie Max Hoelz, Sacco und Vanzetti oder Richard Scheringer rankten. Aber auch die alltägliche Kleinarbeit eines Roten Helfers, das Sammeln von Spenden für die Familienhilfe oder Unterschriften für die Vollamnestie, der Kontakt zu politischen Gefangenen durch Besuche und Briefe, Demonstrationen, Filmabende und Gedenkveranstaltungen für gefallene Revolutionäre werden beleuchtet.

Ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte

Rote Hilfe Deutschlands – bei der Nennung dieses Namens reagieren selbst Historiker, deren Fachgebiet die Weimarer Republik oder das Dritte Reich ist, mit fragenden Blicken. Heute ist diese Organisation, deren proletarische Mitgliederzahl Anfang der 30er Jahre derjenigen der SPD ebenbürtig war und zu deren Unterstützern so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Wilhelm Pieck und Herbert Wehner, Erich Mühsam und Kurt Tucholsky, Albert Einstein und Thomas Mann gehörten, in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht! Denn viele der von der Roten Hilfe angesprochenen Themen finden sich noch heute im Mittelpunkt der politischen Debatte. Wenn der Bundestag über eine Änderung des Asylrechts diskutiert und das Bundesverfassungsgericht über die rechtliche Stellung homosexueller Lebensgemeinschaften zu entscheiden hat, wenn bei milden Urteilen gegenüber rechtsextremen Gewalttätern der Vorwurf einer politischen Justiz laut wird und wenn sich eine breite Öffentlichkeit für die Abschaffung der Todesstrafe weltweit ausspricht, so handelt es sich um Themen, zu denen die Rote Hilfe schon vor über 70 Jahren Positionen entwickelte und Kampagnen führte.

„Sanitätskorps“ der proletarischen Revolution

Als „Sanitätskorps“ (C. Zetkin) der proletarischen Revolution diente die Rote Hilfe dem physischen Erhalt des revolutionären Kaders. Wenn ein inhaftierter Kommunist sich nicht von seinen in Freiheit verbliebenen Kampfgenossen vergessen wähnte und die Gewissheit hatte, dass seine Familie unter der Obhut des Solidaritätswerkes stand, konnte die KPD auf seinen Verbleib in ihren Reihen hoffen. Durch die Untersuchung des organisatorischen Aufbaus sowie der Zusammensetzung von Mitgliedschaft und Funktionärsapparat wird herausgearbeitet, inwieweit der von der Roten Hilfe selbstproklamierte Anspruch der Überparteilichkeit eingelöst werden konnte. Tatsächlich machten bekennende Sozialdemokraten, Anarchisten und bürgerliche Demokraten niemals mehr als ein Prozent der Mitgliedschaft aus. Dagegen wurde die Rote Hilfe während der Weltwirtschaftskrise zur Heimat parteiloser Linksradikaler, die von der KPD desillusioniert waren, die SPD aufgrund ihrer staatstragenden Rolle aber ablehnten. Überparteilichkeit bedeutete aus Sicht der KPD-Führung Offenheit für nichtkommunistische Mitglieder im Sinne einer „Einheitsfront von unten“ unter kommunistischer Führung.

Thomas Mann, Albert Einstein und andere als Unterstützer

Die Arbeit der Roten Hilfe beruhte auf drei Säulen. Die erste war die Masse der einfachen Arbeiter, die als Mitglieder, Funktionäre und Spender die Organisation trugen. Das zweite Standbein waren etwa 300 Rechtsanwälte unterschiedlicher politischer Gesinnung. Ein Gesicht, dass bis weit in das demokratische Bürgertum wahrgenommen wurde, bekam die Rote Hilfe jedoch durch eine Reihe couragierter Intellektueller, die sich nicht scheuten, mit ihrem bekannten Namen für die Rote Hilfe oder einzelne ihrer Kampagnen zu werben. Das Spektrum dieser prominenten Unterstützer aus Kultur und Wissenschaft reichte von Parteikommunisten wie Johannes R. Becher und Egon Erwin Kisch über linke Einzelgänger wie dem Kunstmaler Heinrich Vogeler bis zu den republikanisch gesinnten Schriftstellern Heinrich und Thomas Mann. Mit Verweis auf das Schicksal „unschuldiger Kinder“ warb die Rote Hilfe eine Vielzahl von Prominenten, darunter auch den Physiknobelpreisträger Albert Einstein, für ein Kuratorium, das sich schützend vor die ständig von der Schließung bedrohten Kindererholungsheimen in Worpswede bei Bremen und im thüringischen Elgersburg stellte. Aber auch mit dem Aufgreifen von Fällen staatlicher Kunst- und Literaturzensur – etwa während der Debatte um das Schmutz- und Schundgesetz – wurden Intellektuelle für die Anliegen der Roten Hilfe sensibilisiert.

Internationalismus

Verbindendes Element in der Kampagnetätigkeit der Roten Hilfe von 1921 bis 1933 war der Ruf nach Amnestie für alle „proletarischen politischen Gefangenen“. Amnestie wurde nicht als Gnadenakt, sondern als notwendige, durch außerparlamentarischen Druck zu erzwingende Korrektur der Rechtsprechung verstanden. Wenn zeitweilig über 7000 revolutionäre Aktivisten in den Gefängnissen der Weimarer Republik saßen und große Teile der KPD-Zentrale vom Damoklesschwert der Hochverratsklage bedroht ins Moskauer Exil oder die Illegalität gezwungen wurden, dann bildete die Amnestie eine Überlebensfrage für die Handlungsfähigkeit der kommunistischen Bewegung. Der Amnestiekampf ist zugleich als ein Spiegel für die Wandlungen der KPD-Politik zu verstehen, da im Mittelpunkt der jeweiligen Kampagne Symbolfiguren für die wechselnde Bündnispolitik der Kommunisten standen, von den Linksradikalen Erich Mühsam und Max Hoelz bis zum ehemaligen NS-Aktivisten Richard Scheringer und dem Bauernführer Claus Heim. Internationalismus gehört zu den Eckpfeilern des kommunistischen Selbstverständnisses. Vor allem der Roten Hilfe war es – zusammen mit der Internationalen Arbeiterhilfe – zu verdanken, dass die internationale Solidarität im linksproletarischen Milieu in Deutschland konkret erfahrbar wurde und nicht bei abstrakten Lippenbekenntnissen endete.

Weiterarbeit während des Faschismus und im Exil

Als einzige Nebenorganisation der KPD wurde die Rote Hilfe auch unter dem Nationalsozialismus bis kurz vor dem Krieg aufrechterhalten. Die Untersuchung der Aktivitäten der Roten Hilfe während dieser Zeit bringt neue Erkenntnisse über Möglichkeiten und Grenzen des antifaschistischen Widerstand in Deutschland. So erprobte die Rote Hilfe neben der klassischen illegalen Arbeit, wie dem Einschleusen antifaschistischer Literatur und der Übernahme politischer Aufgaben der KPD, auch sogenannte „legale“ Formen des Widerstandes. Wie aufgezeigt wird, unterwanderten Rote Helfer NS-Organisationen wie die Volkswohlfahrt, um unter dem Deckmantel des „loyalen Volksgenossen“ Gelder für die Familien politischer Gefangener als bedürftiger Glieder der „Volksgemeinschaft“ abzuzweigen. Bei den Bemühungen der Kommunisten zur Schaffung „antifaschistischer Einheits- und Volksfronten“ in Deutschland und den angrenzenden Ländern spielte die Rote Hilfe eine bis jetzt von der Forschung unterschätzte Schlüsselrolle als Bindeglied zu nicht-kommunistischen Teilen des Widerstands.