Junge Welt 25.10.2004
Ein
Buch über eine weitgehend unbekannte trotzkistische Widerstandsgruppe in
Dresden ergänzt die Geschichte des Antifaschismus
Mit der Serie »Rote Bergsteiger« erinnerte das DDR-Fernsehen
1968 an den antifaschistischen Widerstand kommunistischer Bergsteiger. Ein
bislang weitgehend unbekanntes Kapitel beleuchtet das Buch »Eine trotzkistische
Bergsteigergruppe aus Dresden im Widerstand gegen den Faschismus«. Die Autorin
Barbara Weinhold wurde auf die Antifaschisten durch den Nachlaß ihrer in dieser
Gruppe aktiven Tante Käthchen Kozlecki aufmerksam. Weitere Quellen fanden sich
unter anderem in Prozeßakten der Nazis, dem Trotzki-Archiv in Harvard (USA) und
in Gesprächen mit noch lebenden Zeitzeugen wie dem Frankfurter Trotzkisten
Rudolf Segall.
Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und des faschistischen Vormarsches
drang zunehmend Politik in die Gruppenabende der in der Vereinigten
Kletterabteilung (VKA) der Naturfreunde organisierten Arbeitersportler. Als die
Bergsteiger 1930 den Kommunisten Ernst Glaser zum Vorsitzenden wählten,
beschloß der sozialdemokratisch dominierte sächsische Gauvorstand die Auflösung
der Kletterabteilung. Unter dem Namen Naturfreundeopposition-VKA organisierten
sich die kommunistischen Bergsteiger neu.
Besonders aktiv auf politischem Gebiet war die um den Arbeiter und Lehrer der
Dresdner Marxistischen Arbeiterschule MASCH Gerhard Grabs gebildete Gruppe in
den Dresdner Stadtteilen Loschwitz/Rochwitz. Die durch Freundschaften
langjährig verbundenen Arbeiter kamen zumeist aus sozialdemokratischen
Elternhäusern. Von der feigen Rückzugspolitik der SPD waren die jungen
Bergsteiger abgestoßen und von der ultralinken KPD-Linie, die in der
Sozialdemokratie den »sozialfaschistischen« Hauptfeind sah, enttäuscht. »Das
starke Anwachsen des Faschismus ließ mich die Frage stellen und schließlich
verneinen, ob die von der Partei verfolgte Politik richtig und geeignet sei,
die Faschisierung zu verhindern«, erläutert Grabs, der wegen dieser Haltung aus
der KPD ausgeschlossen wurde. »Ich ... stand auf dem Standpunkt, daß nur eine
über eine Einheitsfront KPD-SPD hinweggehende Aktion die sozialdemokratischen
Massen von der reformistischen Führung loslösen könnte.« Antworten fanden sich
in Broschüren mit Analysen und Ratschlägen Leo Trotzkis, die der Werkzeugmacher
Wenzel Kozlecki aus Berlin mitbrachte. Im Sommer 1932 trat die Loschwitzer
Gruppe der trotzkistischen Linken Opposition der KPD bei.
Nach Errichtung der faschistischen Diktatur gelang es der Loschwitzer Gruppe,
ihren Zusammenhalt zu wahren. Ihre Widerstandstätigkeit bestand zunächst darin,
illegal Tausende Exemplare marxistischer Zeitungen und Broschüren über die
deutsch-tschechische Grenze zur Verteilung in mehreren deutschen Städten zu
bringen. Später wurden auch Genossen über die Grenze geschleust.
Wenzel Kozlecki und seine Frau Käthchen mußten schon im Sommer 1933 in die CSR
fliehen, als ihnen die Gestapo auf die Spur kam. Dort arbeiteten sie für die
Internationale Linke Opposition, bis Kozlecki ein von Trotzki organisiertes
Visum für Mexiko angesichts des drohenden Einmarsches der Wehrmacht nach Prag
Ende 1938 das Leben rettete. Die Loschwitz/Rochwitzer Trotzkistengruppe wurde
1937/38 von der Gestapo zerschlagen. Ihre Mitglieder verbrachten viele Jahre in
Gefängnissen und Konzentrationslagern. Unmittelbar nach der Befreiung vom
Hitlerfaschismus beteiligten sich die Bergsteiger am Aufbau eines
Antifaschistischen Aktionsausschusses in Dresden-Rochwitz. Die ehemaligen
Trotzkisten unternahmen nach 1945 keinerlei Versuche, erneut eine
Oppositionsgruppe aufzubauen, sahen mehrheitlich die DDR als ihre Heimat an und
hatten Hoffnungen oder Illusionen in den sozialistischen Aufbau. Dennoch geriet
Gerhard Grabs in eine antitrotzkistische Hexenjagd, wurde aufgrund seiner
Vergangenheit 1951 vorübergehend aus der SED ausgeschlossen und verlor seinen
Arbeitsplatz als Direktor der Landesdruckerei Sachsen.
Ergänzt wird die streckenweise etwas zäh zu lesende Arbeit von Barbara Weinhold
durch Bildmaterial und einige Originalartikel, unter anderem von Wenzel
Kozlecki zur nationalen Frage in der Tschechoslowakei. Dem engagierten Neuen
isp Verlag ist zu danken, daß er ein Buch zu diesem doch sehr speziellen Thema
verlegt und damit eine Lücke in der Erforschung des deutschen Trotzkismus und
des antifaschistischen Widerstands geschlossen hat.
Nick Brauns
* Barbara Weinhold: Eine trotzkistische Bergsteigergruppe aus Dresden im
Widerstand gegen den Faschismus. Neuer isp Verlag, Köln 2004, 244 Seiten, 21
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