Erfrischender “Geschmack der Revolution”

 

Seit 10 Jahren wird in Taybeh bei Ramallah palästinensisches Bier produziert

 

In Mitten der steinigen Hügellandschaft des Westjordanlandes nahe der palästinensischen Verwaltungshauptstadt Ramallah ist der kleine Ort Taybeh nur für Ortskundige zu finden. Straßenschilder zeigen nur die Namen der illegal errichteten jüdischen Siedlungen an. Wer von der für Fahrzeuge mit israelischem Kennzeichen reservierten Straße abbiegt, muß einen Militärposten passieren. Endlich sehen wir umgeben von Olivenhainen die Kirchtürme Taybehs. Der 30 Autominuten von Jerusalem entfernte liegende Ort mit seinen knapp 1200 Einwohnern ist die einzige palästinensische Stadt, in der ausschließlich Christen leben. Doch im Nahen Osten ist Taybeh seit 10 Jahren vor allem als Heimat der ersten und bislang einzigen palästinensischen Brauerei bekannt geworden. „Wir haben zwar noch kein eigenes Land, aber ein eigenes Bier“, verkündet Brauermeister Nadim Khoury stolz.

 

Die Geschichte begann während seines Betriebswirtschaftsstudiums in den USA. Schon damals begeisterte Nadim seine Komilitonen am Helenic College in Boston mit Selbstgebrauten. Konsequenterweise folgte eine Brauerausbildung an der Davis Brauerei in Sacramento.

 

Nach dem Osloer Abkommen zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation und Israel sah Nadim die Chance, sich seinen  Traum zu erfüllen und seinen Teil für die Zukunft Palästinas beizutragen. Familie Khoury – offenbar nicht unvermögend - investierte 1994 in ihrem Heimatort Taybeh 1,2 Millionen Dollar in den Aufbau einer eigenen Brauerei. Es war die erste größere Investition nach Oslo, die Exilpalästinenser in der Heimat tätigten. „Drink Palestinian – Taste the Revolution“ preist folgerichtig ein Werbeplakat den Biergenuß als „Geschmack der Revolution“ und folglich als patriotische Tat an. Zu den ersten Gratulanten gehörte damals PLO-Chef Yassir Arafat. Der gläubige Moslem selbst trank den alkoholischen Gerstensaft allerdings nicht. Doch seine Frau Suha, eine Christin, soll gerne ein Glas des erfrischenden Getränks genießen.

 

Im August 1995 wurde in Taybeh das erste palästinensische Bier in Flaschen abgefüllt. Das Rezept für die drei Sorten Golden, Light und Dark hat Brauermeister Khoury selbst kreiert. Eine alkoholfreie Variante ist in Vorbereitung. Der Hopfen stammt aus Bayern und der Tschechischen Republik, das klare Ein-Samia-Quellwasser aus Palästina. Gebraut wird streng nach dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516 ohne die sonst in der Region üblichen Zusätze von Konservierungsstoffen oder Geschmacksverstärkern.

 

 „Unser Wachstum beruht auf einer sehr alten Form der Werbung – der Mund zu Mund Propaganda“, heißt es in einem Prospekt der Brauerei. In der palästinensischen Presse darf die Brauerei keine Anzeigen schalten, denn viele Moslems sind der Ansicht, der Islam verbiete den Alkoholgenuß. Auch unser Begleiter Mohamed, der seinem Namen alle Ehre macht, hatte sich am Vortag geweigert, uns nach Taybeh zu bringen. „Dabei erklären wir den Moslems immer wieder, daß Bier zu 100 Prozent natürlich ist“, meint Nadim Khoury.

 

Dafür fand Khoury in der benachbarten jüdischen Siedlung Ofra einen Rabbiner, der ihm attestierte, daß Taybeh Bier koscher sei. Damit stand der israelische Markt offen und die junge Szene in der modernen Mittelmeermetropole Tel Aviv griff gerne zu dem trendigen Bier mit dem selbstbewußten Slogan „The finest in the Middle East.“ 1995 gingen noch 70 % der Bierproduktion nach Israel.

 

Doch die zweite Intifada hat die Bierproduktion schwer getroffen. Aufgrund der monatelangen Abriegelung und Besetzung des Westjordanlandes  konnte die Brauerei oft nicht liefern. Die Produktion sank von 6000 auf 2000 Hektoliter im Jahr und von einstmals 15 Arbeitern sind nur noch fünf geblieben. Immer wieder werden Transporte für die Brauerei willkürlich in Israel aufgehalten. „Ich warte seit langem auf eine Lieferung bayerischen Hopfens, der in Israel gestoppt wurde“, erzählt Khoury.

 

Neben Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten beliefert Taybeh arabische Nachbarländer wie Jordanien. Doch auch in Europa findet der Gerstensaft aus dem Mittleren Osten Freunde. Neben einer belgischen Brauerei hat sich mit der Stuttgarter Anker-Brauerei auch ein deutscher Lizenznehmer gefunden. „Es gibt in Deutschland viele Bierliebhaber, die internationale Biere trinken wollen“ hat Nadim Khoury bei Reisen festgestellt. Regelmäßig besucht der arabische Bierbrauer das Münchner Oktoberfest. 

 

Erstmals hat er dieses Jahr auch in Taybeh ein „October Fest“ veranstaltet. „Leider haben wir keine Bedienungen im Dirndl“, scherzt Nadim Khoury. Die Unterstützung der Stadtverwaltung war jedenfalls sicher, schließlich ist Nadim Khourys Bruder David Bürgermeister.

 

Auch Khourys 18 jährige Tochter Madis tritt in die Fußstapfen ihres Vaters. Während ihrer Semesterferien vom Studium in Boston wird sie in Taybeh in die Braukunst eingeweiht. „Madis wird der erste weibliche Bierbrauer in Palästina“, verkündet der Vater.

 

Nikolaus Brauns