Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 e.V.

Informationen Nr. 58, November 2003

Neue Forschungen zur Roten Hilfe


80 Jahre nach der Gründung der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) liegen nun gleich drei Neuerscheinungen vor, von denen zwei hier vorgestellt werden. Die dritte Neuerscheinung - zugleich die erste Gesamtdarstellung der RHD von Nikolaus Brauns - wird im Oktober 2003 ausgeliefert und in der nächsten Ausgabe der "informationen" besprochen. Damit wird die jahrzehntelange Nichtbeachtung dieser antifaschistischen Massenorganisation der Weimarer Republik - in der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung weit stärker ausgeprägt als in der Geschichtsschreibung der DDR - mit zum Teil neuen Fragestellungen beendet.


Der von Sabine Hering und Kurt Schilde herausgegebene Sammelband zur Roten Hilfe trägt den Untertitel "Die Geschichte der internationalen kommunistischen ‚Wohlfahrtsorganisation' und ihre sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941)". Die Beiträge sind in vier Abschnitte gegliedert: Die Organisation, Soziale und pädagogische Praxis, Biografien und Dokumente. Obwohl sich die RHD selbst nicht als "Wohlfahrtsorganisation" verstand, auch nicht der "Reichsarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege" angehörte, sondern der "privaten und kirchlichen Wohltätigkeit von jeher misstrauisch" gegenüberstand, wird nach strukturellen und inhaltlichen Gemein-samkeiten mit bürgerlichen und kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen - wie der Caritas oder dem Roten Kreuz - gefragt. Dabei entstehen auch absolute Schieflagen wie beispielsweise beim Vergleich der Arbeit des Roten Kreuzes und der Roten Hilfe; es habe "Gemeinsamkeiten" bei der Fluchthilfe für politisch Verfolgte gegeben: "Die Rote Hilfe verhalf in den 1920er Jahren polizeilich gesuchten Kommunisten zur Flucht in die Sowjetunion, und das Rote Kreuz organisierte nach 1945 ‚rat lines' für NS-Verbrecher, die nach Südamerika entkommen konnten" (S. 33).


Die RHD verstand sich als eine "überparteiliche Hilfsorganisation zur Unterstützung ... der proletarischen Klassenkämpfer, die wegen einer aus politischen Gründen begangenen Handlung oder wegen ihrer politischen Gesinnung in Haft genommen sind" sowie "der Frauen und Kinder von inhaftierten, gefallenen oder invaliden Klassenkämpfern des Proletariats". Hinsichtlich der "Überparteilichkeit" kommt Nikolaus Brauns zum Ergebnis, dass die Rote Hilfe auf den mittleren und oberen Leitungsebenen von der KPD bestimmt wurde. Bis 1929 habe es einen "gewissen Spielraum" für "nichtkommunistische Aktivisten oder kommunistische Kritiker der jeweiligen KPD-Führung" gegeben, danach habe sich die Rote Hilfe nach "weitreichenden Säuberungen" zu einer "offenen Hilfstruppe" der KPD gewandelt. Von "Überparteilichkeit" könne man lediglich im Hinblick auf die "mehrheitlich nicht parteipolitisch gebundene Mitgliedschaft" und die "juristische und materielle Unterstützung, die auch Angeklagten und Gefangenen anderer Strömungen der Arbeiterbewegung" gewährt worden ist, sprechen.


Sowohl Brauns als auch Kurt Schilde sehen in den Fraktionskämpfen und damit einhergehenden Ausschlüssen von Mitgliedern der KPD-Opposition, von Anarchisten und Rätekommunisten die Ursache für eine weitgehende Schwächung der Roten Hilfe, die sich angesichts des erstarkenden Faschismus um so tragischer auswirkte: "1929 wurde ein Verlust von 19.300 ausgeschlossenen und ausgetretenen Mitgliedern verzeichnet. Vor allem in den Augen parteiloser Arbeiter und linker Intellektueller hatte die Rote Hilfe viel von ihrer Glaubwürdigkeit als überparteiliche Organisation eingebüßt." (S. 78)


In ihrem Beitrag über die Kinderheime der Roten Hilfe geht Sabine Hering der Frage nach "Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den vom sozialistischen bzw. kommunistischen Weltbild geprägten Kindererholungsheimen und solchen, welche sich einer christlichen Weltanschauung verpflichtet haben", nach (S. 131). Die Quellenlage für diese Fragestellung erscheint jedoch als nicht sehr ergiebig. Hering stützt sich u.a. auf eine "Auseinandersetzung" aus dem Jahr 1926 zwischen den Leitungen des "Barkenhofs" in Worpswede und des Kinderheims im thüringischen Elgersburg um die Frage, "ob den Kindern im Sinne reformpädagogischer Ideen Partizipation und Eigenverantwortlichkeit zugestanden werden soll, oder ob sie nach den Regeln der klassischen Kindererholungsheime im Rahmen eines zentralistisch geordneten Betriebs entlastet, gepäppelt und gepflegt werden sollen" (S. 149). Etwas zugespitzt sieht sie in dieser Auseinandersetzung "Vorschläge zur Entmachtung der Pädagogen und zum Sieg der Ordnung"; wie sich der Vorstand der Roten Hilfe zu den aufgeworfenen Fragen verhalten hat, lässt sich den Quellen nicht entnehmen.


Carola Tischler beschreibt in ihrem Beitrag "Die Gerichtssäle müssen zu Tribunalen gegen die Klassenrichter gemacht werden" die Rechtsberatungspraxis der RHD. Sie benennt auch Konflikte u.a. in der Wahl der angemessen erscheinenden Prozesstaktik und kommt zu dem Ergebnis, dass trotz aller Schwierigkeiten, den ständig steigenden Fällen und den hohen Kosten "die Existenz und das Bemühen der Roten Hilfe ... den Eingekerkerten Selbstbewusstsein und das Gefühl, von einem Teil der Gesellschaft gestützt zu werden", verlieh (S. 130).


 Im Abschnitt Biografien werden vorgestellt: Jelena Stassowa, die "Genossin absolut" (Elena Resch), der Esslinger Metallarbeiter Eugen Schönhaar, der seit 1923 im Exekutivkomitee der Internationalen Roten Hilfe (IRH) arbeitete (Nikolaus Brauns), die Schweizer Kommunistin und Mäzenin der IRH Mentona Moser (Sabine Hering), Rosa Aschenbrenner aus München (Günther Gerstenberg), der Jurist und Mitbegründer der RHD Felix Halle, der 1938 in Moskau den stalinistischen Säuberungen zum Opfer fiel (Carola Tischler), Ella Ehlers, Wirtschaftsleiterin auf dem "Barkenhof" und in Elgersburg (Sandra Schönauer) sowie Helmut Schinkel, der 1924/1925 als Erzieher auf dem "Barkenhof" wirkte, seit 1929 bei der Kommunistischen Jugendinternationalen in Moskau eingesetzt war und dort am 10. Januar 1938 "wegen konterrevolutionärer Tätigkeit" zu acht Jahren Straflager in Sibirien verurteilt wurde (Ulla Plener).


1933 gab es in Deutschland etwa 20.000 Rechtsanwälte, die, soweit sie "arisch" waren, mit großer Mehrheit im "Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen" (ab 1938 in "Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund" umbenannt) organisiert waren. 4.394 Rechtsanwälte waren jüdischer Herkunft und wurden am 7. April 1933 durch die Einführung einer "Arierklausel" in das Rechtsanwaltsgesetz von ihrem Beruf ausgeschlossen. Eine Minderheit, etwa 300 Rechtsanwälte, war in den Jahren 1924-1933 als Strafverteidiger in politischen Prozessen gegen Linke für die Rote Hilfe Deutschlands (RHD) tätig, unter ihnen etwa 50 Rechtsanwälte in mehreren Fällen und für einen längeren Zeitraum. Dieser "zu Unrecht (fast) vergessenen Minderheit" versuchen Heinz-Jürgen Schneider, Erika und Josef Schwarz, ihre Namen und ihre Biografien wiederzugeben. Der biografische Teil - als Aufforderung zur Spurensuche verstanden - nimmt dementsprechend den größten Teil des Buches ein (S. 68-305).

In den einleitenden Kapiteln liefern die Autoren einen kurzen Abriss zur Geschichte der RHD, zur politischen Justiz 1919-1933, zu "Prozessen, Aktionen, Kampagnen, Untersuchungsausschüssen" und zu Strategien der Selbstverteidigung vor Gericht, deren Erarbei-tung und Propagierung zu einem Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit der RHD gehörte. Immerhin standen besonders nach 1930 die weitaus meisten Antifaschisten ohne Verteidiger vor Gericht. Die von Felix Halle, dem Leiter der Juristischen Zentralstelle der RHD, erarbeitete Broschüre "Wie verteidigt sich der Proletarier in politischen Strafsachen vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht?" erschien 1931 bereits in der 4. erweiterten Auflage "unter Berücksichtigung der Notverordnungen", war mit 100.000 verkauften Exemplaren die am weitest verbreitete Broschüre und ist im Anhang als Faksimile wiedergegeben (S. 315-362). Auch das Ende der legalen Tätigkeit der RHD - mit Berufsverboten, Verhaftungen und Ausbürgerungen - und der Weiterführung der Arbeit im Untergrund (die letzten Gruppenprozesse gegen Mitglieder der Roten Hilfe fanden 1937/1938 statt) wird kurz und ohne Anspruch auf Vollständigkeit gestreift.

 
Hinsichtlich der Namen der etwa 300 Rechtsanwälte der RHD werteten die Autoren vor allem im SAPMO-Archiv aufbewahrte Unterlagen (beispielsweise eine Aufstellung "Geleistete Zahlungen und eingegangene Rechnungen der Rechtsanwälte" aus dem Jahr 1931 oder das 1930 veröffentlichte Handbuch "Rote Helfer") aus und ergänzten die Angaben durch weitere Recherchen jeweils vor Ort. Leider konnten die Autoren so zentrale Nachschlagewerke wie das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nicht zu Rate ziehen. Von vielen ist nach wie vor lediglich der Name bekannt.


Ohne "Anspruch auf Wertung" werden vier Anwaltsgruppen beschrieben: Zum ersten die Gruppe der politisch links eingestellten Anwälte (meist KPD, seltener SPD oder SAP), die unmittelbar im Auftrag der RHD in politisch wichtigen Prozessen die Verteidigung übernahmen und auch außerhalb ihrer Anwaltstätigkeit im antifaschistischen Kampf aktiv waren. Eine zweite kleinere Gruppe sei "aus Motiven ihrer republikanischen Gesinnung" in politischen Prozessen als Verteidiger aufgetreten und habe nur im Rahmen dieser Prozesse in Verbindung mit der Roten Hilfe gestanden. Die dritte wohl größte Gruppe stellten jene Anwälte, die ständig mit einem Rechtsschutzauftrag in die Arbeit der RHD einbezogen waren; eine vierte Gruppe sei nur gelegentlich mit der Vertretung vor Gericht beauftragt worden; hierbei spielten Fragen der Zulassung vor den jeweiligen Gerichten eine Rolle. Regional betrachtet war vor allem Berlin mit 62 für die RHD tätigen Anwälten ein Schwerpunkt, gefolgt von München (10), Königsberg/Ostpreußen (6), Breslau, Cottbus, Dresden, Hirschberg/Niederschlesien, Leipzig und Stuttgart (je 5 Anwälte). 60% der für die Rote Hilfe tätigen Anwälte waren Juden.

In seinem Vorwort benennt Heinrich Hannover, bekannter linker Strafverteidiger in der alten Bundesrepublik, zwei Gründe, weshalb Anwälte der RHD in Vergessenheit geraten konnten: "Mit den Verteidigern hatten beide deutschen Nachkriegsstaaten ihre Schwierigkeiten. Nicht nur, weil sie ganz überwiegend Juden oder jüdischer Abstammung waren und antisemitische Geisteshaltungen hier wie dort fortwirkten oder wiederkamen. Auch soweit sie Kommunisten waren, erinnerte man sich ihrer sowohl im Westen wie im Osten nicht gerne, weil man nicht über sie reden kann, ohne auch der schwärzesten Abschnitte deutscher und sowjetischer Geschichte zu gedenken. Denn die Lebensläufe vieler Angeklagten und ihrer Verteidiger endeten in Gefängnissen und Todeslagern. Und zwar, was für alle freiheitlich gesinnten Sozialisten besonders empörend ist, nicht nur in den Hitlers, sondern auch in denen Stalins."

Heinz-Jürgen Schneider, Erika Schwarz, Josef Schwarz: Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands. Politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik. Geschichte und Biografien. Bonn: Pahl-Rugenstein, 2002.
Sabine Hering, Kurt Schilde (Hg.): Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen "Wohl-fahrtsorganisation" und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941). Opladen: Leske + Budrich, 2003.


Ursula Krause-Schmitt