SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 21

Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation in Deutschland (1919—1938). Bonn: Pahl-Rugenstein, 2003. 348 Seiten, 32 Euro . +++++ S.Hering/K.Schilde (Hg.): Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen »Wohlfahrtsorganisation« und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921—1941). Opladen: Leske + Budrich, 2003. 326 Seiten, 24,90 Euro

Zur Geschichte der Roten Hilfe

Im vorigen Jahr sind zwei Darstellungen über die wichtigste und angesehenste »Vorfeldorganisation« von Komintern und KPD in den 20er und 30er Jahren erschienen: Die Rote Hilfe. Das Buch von Nikolaus Brauns ist eine Darstellung der Roten Hilfe Deutschlands. Das von Hering/Schilde herausgegebene Buch hat auch die internationale Organisation im Blick, legt seinen Schwerpunkt aber auf die sozialen und pädagogischen Aktivitäten der Roten Hilfe in Deutschland. Es sind die ersten umfassenden Darstellungen zur Roten Hilfe (RH).
Dabei war sie die größte und auch über kommunistische Kreise hinaus angesehenste von allen der KPD nahestehenden Organisationen. Das lag daran, dass sie sich nicht nur für KPD-Mitglieder sondern für alle Linke, die von politischer Repression betroffen waren, einsetzte. Ob das nun Anarchisten wie Sacco und Vanzetti oder sozialdemokratische Reichsbannerleute waren, die in Auseinandersetzungen mit den Nazis verwickelt waren, die Rote Hilfe half mit Anwälten und Geld.
Dabei agierte sie nicht im luftleeren Raum. Die SPD verbot ihren Mitgliedern den Beitritt zur RH, die bürgerlichen Behörden betrachteten sie als eine besonders gefährliche kommunistische Organisation und die KPD zwang auch der RH ihre Eskapaden wie die Sozialfaschismusthese oder den Nationalkommunismus auf. Trotzdem blieb die RH eine funktionsfähige Organisation, die auch über die Partei hinaus Unterstützung leisten konnte.
Anschaulich werden in dem Buch von Brauns die Kampagnen für Sacco und Vanzetti, Max Hölz, Carl Peters usw. geschildert. Auch der Einsatz der RH für umstrittene Gestalten wie Richard Scheringer und Claus Heim, die eher der politischen Rechten angehörten und aufgrund eines merkwürdigen Kurses der KPD, der Anfang der 30er Jahre die nationale Befreiung programmatisch vor die soziale Befreiung setzte, von der RH unterstützt wurden, wird nicht überschlagen. Ein weiteres Kapitel, das von Brauns kritisch bearbeitet wird, ist das Verhältnis der RH zur politischen Repression in der Sowjetunion unter Stalin. Aufgrund der engen Bindung der KPD an die stalinsche KPdSU konnte die RH natürlich die Verfolgung politisch Andersdenkender in der Sowjetunion nicht thematisieren.
Man sieht also, dass Brauns neben dem vielen Positiven, das über die RH gesagt werden muss, das Negative nicht vergisst. Dabei schüttet er nicht das Kind mit dem Bade aus oder besser gesagt nicht den Kommunismus mit der Kritik an der KPD und an der RH. Das Buch ist vielmehr auf eine angenehme Art parteiisch und gleichzeitig so akribisch recherchiert, das es auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Des Weiteren ist es gut lesbar und teilweise spannend geschrieben. Das Buch ist ungewöhnlich großformatig mit vielen Bildern und Faksimiles. So macht nicht nur das Lesen, sondern auch schon das Durchblättern Spaß. Man kann auch ruhig einmal den Versuch machen, das Buch irgendwo mitten drin aufzuschlagen und einfach anfangen zu lesen, man wird sich festlesen. Brauns und der Verlag haben bewiesen, dass Bücher zur Geschichte der Arbeiterbewegung nicht trocken sein müssen. Das Buch sollte in dem Regal von niemandem fehlen, der sich für die Geschichte der Arbeiterbewegung interessiert.
An dem von Hering/Schilde herausgegebenen Band sind neun Autorinnen und Autoren beteiligt, darunter auch Nikolaus Brauns mit zwei Beiträgen. Die Fragestellung ist hier, inwiefern die Rote Hilfe eine »Wohlfahrtsorganisation« war. Diese Frage wird letztlich nicht überzeugend beantwortet, was auch daran liegt, dass in dem Beitrag von Sabine Hering »Die Kinderheime der Roten Hilfe — Ein Fallbeispiel konfessioneller Erziehung?« ausgerechnet die christlichen Wohlfahrtsverbände zum Vergleich herangezogen werden, obwohl ein Vergleich mit der sozialdemokratischen Arbeiterwohlfahrt sicher naheliegender gewesen wäre.
Interessant ist vor allem der Beitrag von Hering über den kommunistischen Pädagogen Edwin Hörnle, der sonst in der Forschung über die KPD eher übersehen wird. Auch die biografischen Abrisse über einige Führungspersönlichkeiten der RH sind sehr aufschlussreich. So erfahren wir, dass Jelena Stassowa, die langjährige Vorsitzende in der Anfangszeit der RH, noch 1946 den Mut hatte, sich in der Sowjetunion positiv über den von Stalin verfemten Bucharin zu äußern. Alles in allem ist das Buch von Hering/Schilde eine interessante Ergänzung zu der Gesamtdarstellung von Brauns, für sich genommen bietet es eher eine verkürzte Sicht auf die RH.

Andreas Bodden