Junge Welt 28.10.2004  Feuilleton

 

The Making of Che  

 

Wenn einer eine Reise tut, wird er zum Revolutionär: Walter Salles’ Roadmovie »Die Reise des jungen Che«  

 

 »Che – einmal muß da ein Mensch gewesen sein«, heißt es in Frederik Hetmans bekanntem Jugendbuch »Ich habe sieben Leben«. Walter Salles’ Roadmovie »Die Reise des jungen Che« zeigt Ernesto Guevara, bevor er zum Mythos »Che« wurde. Mit einem alten Motorrad brachen der 23jährige Medizinstudent Ernesto und sein 29jähriger Freund, der Biochemiker Alberto im Jahr 1952 auf, eine achtmonatige Reise von Argentinien über Chile, Peru und Kolumbien bis nach Venezuela zu unternehmen.

Als das Motorrad beim Zusammenstoß mit einer Rinderherde seinen Geist aufgibt, ist dies paradoxerweise erst die Chance für Ernesto und Alberto, das Land wirklich kennenzulernen. Zu Fuß oder auf Lastwagen geht die Reise weiter. Die jungen Männer aus dem reichen, europäisch geprägten Buenos Aires werden mit den Lebensbedingungen der Indios, der Wanderarbeiter, der von Großgrundbesitzern vertriebenen Bauern konfrontiert. Aus Ernestos Reiseberichten spricht die Erschütterung des behüteten Oberschichtsohns über die Lebensbedingungen des einfachen Volkes. Wenn man denn will, läßt ein impulsiv auf den LKW einer Minengesellschaft geworfener Stein den späteren Revolutionär der Tat erahnen. Und wenn der schwer asthmatische Ernesto am Ende den Amazonas durchschwimmt, um mit seinen Freunden und Patienten in einer Lepra-Kolonie seinen 24. Geburtstag zu feiern, könnte man sich an seinen Ausspruch: »Seien wir realistisch – wagen wir das Unmögliche« erinnert fühlen.

Die Schauspieler Rodrigo de la Serna und Gael Garcia Bernal überzeugen in den Rollen des draufgängerischen Alberto und des eher in sich gekehrten Ernesto. Drehbuchautor José Rivera ist es gelungen, den Mythos zu erden. Um sicherzugehen, beide Hauptcharaktere zu gleichen Anteilen porträtieren zu können, zog Rivera sowohl Guevaras Erinnerungsbuch »The Motorcycle Diaries« als auch Grenados Tagebuch »Con el Che por Sudamárica« zu Rate. Der Humor dieser Bücher ist auch im Film zu spüren. Doch je länger die Reise dauert, desto ernsthafter geht es im Film zu.

Regisseur Walter Salles hat an den Originalschauplätzen, an über 30 Orten in Argentinien, Chile und Peru, gefilmt. Viele dieser Orte haben sich in den letzten fünfzig Jahren nicht verändert. Am faszinierendsten war für Salles dabei »das Lepra-Sanatorium von San Pablo, mitten im Amazonas Gebiet«. Einige der Leprakranken im Film waren früher Patienten dieser Kolonie, in der Ernesto und Alberto ein dreiwöchiges Praktikum absolvierten.
Der Film vermeidet plumpe Birth-of-a-Hero-Propaganda. Vielmehr erlebt man zwei junge Männer, die wie Tausende andere Studenten vor Beginn des Berufslebens noch einmal das große Abenteuer suchen. »Wir reisen, um zu reisen« entgegnet Ernesto der Frage von Wanderarbeitern, was sie denn zu Fuß in der glühendheißen Atacamawüste suchen würden? Aus den unbekümmerten Abenteurern, die vor allem hinter den Dorfschönheiten am Wegesrand her sind, werden im Film nachdenkliche Männer, die sich mit den sozialen Realitäten Lateinamerikas konfrontieren. Ernesto wird wenige Jahre später zum Comandante Che Guevara, während Alberto sich der Wissenschaft widmet. »Die Person, die diese Notizen schrieb, starb, als sie ihren Fuß wieder auf argentinischen Boden setzte, und der sie ordnet und an ihnen feilt, ›ich‹, bin nicht ich; zumindest bin ich nicht mehr dasselbe innere Ich. Dieses ziellose Streifen durch unser riesiges Amerika hat mich stärker verändert, als ich glaubte«, schrieb der Che in seinen Reisenotizen. Diese Wandlung wird im Film von Walter Salles überzeugend bebildert.

 

Nick Brauns  

* »Die Reise des jungen Che«, Regie: Walter Salles, USA/GB/D/Arg. 2003, 128 Minuten, Kinostart heute, FSK: ab sechs