Quo vadis PDS?

 

Was noch vor wenigen Monaten undenkbar erschien ist seit Januar 2002 Realität. Zusammen mit der Sozialdemokratie regiert die PDS, die bis vor kurzem verfemte Nachfolgepartei der ostdeutschen Sozialistischen Einheitspartei, die Bundeshauptstadt Berlin. Auf den ersten Blick stellt sich diese rosa-rote Koalition als ein Linksruck dar. Tatsächlich bedeutet sie nichts weniger als das. Vielmehr wird der sozialdemokratisch-sozialistische Senat soziale Kürzungen und Sparmaßnahmen durchsetzen, die in ihrer Radikalität alles übertreffen, was die letzten Jahre unter der großen Koalition von SPD und CDU gelaufen ist. Man müsse den Wählern weh tun, hatte der Berliner PDS-Chef Stefan Liebich angedroht und sogar die Privatisierung von kommunalen Wohnungen in Aussicht gestellt. Die Berliner Koalition hat bereits den Abbau von 18.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst sowie die Schließung des Benjamin-Franklin Universitätskrankenhauses beschlossen. Dafür sollen entgegen der Wahlversprechen Gelder für den umstrittenen Flughafenausbau zur Verfügung gestellt werden. Als die Berliner PDS sich Mitte Januar zur Parteitag versammelte, floh der Star der Partei, Gregor Gysi, jetzt Finanzsenator von Berlin, unter Polizeischutz vor wütenden Beschäftigten des Universitätskrankenhauses und Flughafengegnern.

 

Vor allem ihrem Image als Friedenspartei verdankt die PDS ihrem bisher größten Wahlerfolg zum Berliner Abgeordnetenhaus. Als einzige Partei im Deutschen Reichstag hatte sie sich geschlossen gegen eine deutsche Beteiligung am „Krieg gegen den Terror“ ausgesprochen.

 

Im Ostteil der Stadt kam die Partei auf fast 50 %, im Westen auf annähernd 8 % (insgesamt 22,6%). Vor allem junge Erstwähler entschlossen sich vor dem Hintergrund des Krieges, den Demokratischen Sozialisten ihr Kreuz zu geben. Die Außen- und Friedenspolitik ist tatsächlich die letzte – auch schon hart umkämpfte - Bastion der Parteilinken.  In den meisten anderen Politikfeldern ist die PDS längst in die Fußstapfen von SPD und Grünen getreten. Punkt für Punkt werden Standpunkte übernommen, die von der sich rapide nach rechts bewegenden Sozialdemokratie aufgegeben wurden. Die in der Kommunistischen Plattform organisierten DDR-Traditionalisten dienen dabei als linkes Feigenblatt, die ihrer zaghaften Kritik an der Politik der Parteiführung niemals irgendwie geartete organisatorische Schritte folgen lassen.

 

Die Politik der heutigen PDS muss aus ihrer Geschichte ebenso, wie aus ihrer Sozialstruktur erklärt werden. Die PDS ist aus der Sozialistischen Einheitspartei (SED) hervorgegangen, der bürokratischen Staatspartei der DDR. Von den ehemals 2,3 Millionen SED-Mitgliedern traten 95 % der PDS nicht bei. Geblieben sind vor allem diejenigen, die dem Milieu des mittleren Funktionärskaders der SED entstammten. Diese Schicht der ehemaligen SED-Bürokratie vertritt seit jeher eine konservative und staatstragende Lebenshaltung. Vor allem die ehemaligen hauptamtliche Partei- und Staatsfunktionäre hatten nach der Wiedervereinigung kaum eine angemessene Berufsaussicht. Berufsverbote in Westdeutschland und die hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland standen dem entgegen. Diese PDS-Mitglieder sind nicht prinzipiell gegen kapitalistische Verhältnisse. Sie waren nur empört und beleidigt, dass die Vereinigung Deutschlands an ihnen vorbei verlief, dass sie gedemütigt und verachtet wurden und ihre einstmals herausgehobene gesellschaftliche Stellung verloren hatten. Wenn sie von „Sozialismus“ und „sozialer Gerechtigkeit“ sprechen, geht es ihnen vor allem um ihre Würde und Anerkennung im neuen Deutschland.

Die PDS hat heute etwa 80.000 Mitglieder. Nur um die 4000 von ihnen leben in Westdeutschland. In Westdeutschland ist die PDS nach wie vor eine „Ex“-Partei. Ihre Mitglieder sind Ex-Kommunisten (aus der DKP), Ex-Maoisten, Ex-Trotzkisten. Vor allem seit der Bundestagswahl 1998 kommen auch Ex-Sozialdemokraten und Ex-Grüne dazu, die von der Politik der rot-grünen Bundesregierung enttäuscht wurden. Bei Bundestagswahlen ist diese Westlinke für die PDS entscheidend. Um mit 5,1 % knapp über die 5%-Hürde zu kommen, musste die Partei, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR 21,6 % der Stimmen bekam, 1,2 % im Westen erringen.

Die Mitgliedschaft der PDS ist extrem überaltert. Jedes Jahr sterben etwa 10.000 Mitglieder. 60 % sind Rentner, nur 3 % unter 30 Jahren alt.  In Westdeutschland ist die Alterstruktur allerdings genau umgekehrt. 35 % sind hier unter 30 und nur 8 % über 60 Jahren alt.

Während für die ostdeutschen Mitglieder die PDS vor allem eine „Wärmstube“ darstellt und ihnen die innerparteiliche Harmonie über alles geht – ein Erbe der Diskussionsfeindlichkeit des Stalinismus – ist die westdeutsche PDS von Sektierertum, persönlichen Streitigkeiten und unproduktive Zersplitterung geprägt.

In Ostdeutschland kann sich die PDS auf ein Netzwerk aus der DDR übernommener und ihr nahestehender Milieuinstitutionen stützen, die von dem Wohlfahrtsverband „Volkssolidarität“ über Bräuche wie der atheistischen „Jugendweihe“ bis zur Tageszeitung „Neues Deutschland“ reichen.

Soweit es die Alterstruktur der Mitglieder zulässt, beteiligen sich die Basisorganisationen der PDS an antifaschistischen und Friedensdemonstrationen. Insbesondere anlässlich des Todestages von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ziehen alljährlich im Januar um die 100.000 Menschen, vor allem PDS-Anhänger, zum Berliner Sozialistenfriedhof.

Es existiert ein kulturelles Milieu, dass von den Traditionen der sozialistischen Arbeiterbewegung seit Anfang des letzten Jahrhunderts, das nostalgische Zurückerinnerung an die DDR und einen nach 1989 gepflegten Ost-Patriotismus gespeist wird. Antifaschismus und Pazifismus gehören ebenso zu den Werten dieses Milieus, wie das Hochhalten der preußisch-deutschen Tugenden Ordnung, Sauberkeit und Disziplin. Dazu kommt eine im Vergleich zu anderen Parteien überdurchschnittlich hohe Ausländerfeindlichkeit unter PDS-Wählern. 59% aller PDS Anhänger sind der Meinung, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben. Wenn die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer trotz großer Proteste der Westlinken erklärt, „Deutschland zu lieben“, will sie genau diesem Milieu entgegenkommen.

Während der typische Ost-Genosse seine politischen Erfahrungen mit oder im Staatsapparat gemacht hat, trat der westdeutschen Linken der Staat immer als Gegner gegenüber: von Knüppeln und Wasserwerfern über Berufsverbote bis zum Verbot der KPD reichte die Bandbreite der Erfahrungen. Während für die ostdeutschen PDS-Verbände die Politik im Wesentlichen über ihre Beteiligung in den Kommunen läuft, sind die westdeutschen Mitglieder in der außerparlamentarischen Bewegung – von Aktionen gegen Neonazis bis zur Bewegung gegen Atomkraft und Attack – vertreten. Die Arbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaften fasst langsam in der unteren Gewerkschaftsbürokratie in Westdeutschland Fuß, während die PDS in Ostdeutschland vor allem zum Sprachrohr mittelständischer Unternehmer geworden ist und einen eigenen Unternehmerverband gegründet hat. So forderte die wirtschaftspolitische Sprecherin der PDS Christa Luft Gewerkschafter und Unternehmer unter der Mitgliedschaft auf, ihre Dauerstreitigkeiten zu überwinden, um gemeinsam gegen die Großbanken zu kämpfen.

 

In der DDR vertrat die SED die Interessen einer privilegierten bürokratischen Kaste und begegnete jedem eigenverantwortlichen Handeln der Arbeiter mit feindlicher Ablehnung. Heute spielt die SED-Nachfolgepartei in Ostdeutschland zunehmend wieder eine staatstragende Rolle als Sozialdompteur. Seit Jahren arbeiten PDS-Parlamentarier loyal mit SPD- und zum Teil auch CDU-Abgeordneten in den Kommunen zusammen. Im Bundesland Sachsen-Anhalt trägt die PDS eine sozialdemokratische Minderheitsregierung mit und in Mecklenburg-Vorpommern ist die PDS seit 1999 mit mehreren Ministern in einer Koalition mit der SPD vertreten. Das Ergebnis der Beteiligung „sozialistischer“ Parlamentarier an sozialdemokratischen Landesregierungen ist ernüchternd. Statt der versprochenen „sozialen Gerechtigkeit“ unterstützt die PDS die Sparpolitik von SPD und CDU.

In Sachsen-Anhalt stimmt sie Jahr um Jahr dem Sparhaushalt mit dem Abbau sozialer Leistungen zu. So stimmte die PDS im Sommer 1999für einschneidenden Kürzungen bei Kindergartenplätzen und Horten sowie dem Abbau mehrer Tausend Erzieherstellen, obwohl 300.000 Menschen in einem Plebiszit gegen diesen Gesetzentwurf gestimmt hatten. In Mecklenburg-Vorpommern trägt die PDS die Privatisierung nahezu aller Krankenhäuser des Landes mit, obwohl die Beschäftigten mit Demonstrationen dagegen protestierten. Mecklenburg ist das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenquote und den niedrigsten Löhnen. Ausgerechnet der Mecklenburger PDS-Vorsitzende und Arbeitsminister Helmut Holter setzte gemeinsam mit den Unternehmerverbänden gegen den Widerstand der Gewerkschaften durch, das im staatlich geförderten Beschäftigungssektor Dumpinglöhne von 80% des Tariflohnes gezahlt werden. Verkündete der PDS-Vorstand noch kurz vor der Steuerreform der Bundesregierung, die den Unternehmern Milliardengeschenke macht, die Ablehnung der PDS, so hinderte dies die Mecklenburger Genossen nicht, im Bundesrat für das unsoziale Gesetz zu stimmen. Für Holter war es natürlich auch kein Grund, die Koalition mit der SPD aufzukünden, als diese auch im Namen der Mecklenburger Landesregierung für Schröders Rentenklau zu stimmen. Mittlerweile ist der stellvertretende Ministerpräsident Helmut Holter, ehemaliger Absolvent der Moskauer Parteischule für Marxismus-Leninismus und heute Exponent des äußersten rechten Flügel der PDS, wegen Vetternwirtschaft ins Gerede gekommen.

Wenn die PDS in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern für den Haushalt stimmt, stimmt sie auch für die Mittel von Polizei und Geheimdiensten. Und diese Repressionsorgane bespitzeln nach wie vor Teile der PDS, die sich noch auf den Marxismus beziehen, und verprügeln Anhänger des PDS-nahen Jugendverbandes „Solid“ auf Demonstrationen, während Neonazis demonstrieren dürfen.

 

Seit Jahre dominiert eine kleine Gruppe von Funktionären, die offen sozialdemokratische Positionen vertreten, die Politik der PDS. Als ihr Vordenker gilt gemeinhin der Philosoph André Brie, als ihr Sprachrohr der Jurist Gregor Gysi. Erklärtes Ziel dieser Clique, die den Parteivorstand und die Bundestagsfraktion beherrscht, ist das Mitregieren auf Bundesebene. Doch der Preis der Machtbeteiligung im Kapitalismus ist der Abschied einer antikapitalistisch-sozialistischen Zielsetzung, die völlige Verurteilung des Sozialismusversuchs in der DDR und insbesondere die Zustimmung zur NATO und zum Führen imperialistischer Kriege. Dem steht nach wie vor die Mehrheit der Parteibasis entgegen, die nicht bereit ist, auf ihre Biographie – ihre Rolle beim Aufbau der DDR – zu verzichten und Kriege – auch unter dem Dach der UNO – aus tiefer Überzeugung ablehnen.

Sogenannte „Sektierer und Dogmatiker“, damit sind Strömungen in der Partei gemeint, die noch am Sozialismus festhalten und nicht bereit sind, ihren Frieden mit dem deutschen Imperialismus zu schließen, soll der Verbleib in der Partei „unerträglich gemacht werden“, so Gysi. Diesem Ziel dient eine Reihe von keinem Parteigremium abgesegneter Äußerungen der Spitzenfunktionäre gegenüber der bürgerlichen Presse zur Geschichte und Programmatik der Partei. So entschuldigte sich Gabi Zimmer bei der SPD für die angebliche Zwangsvereinigung von KPD und SPD im Jahre 1946 zur SED. Natürlich hatte es damals Repressionen vor allem gegen linke Kritiker des Stalinismus gegeben. Doch die SPD, verantwortlich für die Ermordung von Karl und Rosa ebenso, wie für den Krieg gegen Jugoslawien, ist wohl der falsche Adressat für eine derartige Entschuldigung. Völlig aus dem historischen Zusammenhang gerissen war auch die Entschuldigung der PDS-Führung für die Berliner Mauer. Den Kalte Krieg und die akute Kriegsgefahr, die zum Mauerbaus geführt hatten, blendete die Parteivorsitzende einfach aus. Doch der „Entschuldigungsmarathon“ blieb nicht ohne Wirkung. Über 1000 Genossen – vor allem Altkommunisten – haben die Partei seitdem verlassen.

Mit den Entschuldigungen einher geht eine grundsätzliche Revision des gültigen Parteiprogramms von 1993. Dieses Programm bot sowohl denjenigen, die den Kapitalismus überwinden wollten, als auch denjenigen, die lediglich Reformen anstreben, eine Plattform. Der antikapitalistische, wenn auch nicht revolutionäre Charakter des geltenden Programms ist der Parteiführung in ihrem Buhlen um Koalitionen mit der SPD ein Dorn im Auge. An der gewählten Programmkommission vorbei legte die Parteichefin Zimmer dann einen Programmentwurf vor, der eine Richtungsentscheidung – weg von sozialistischen Grundsätzen und hin zu einem reformerischen Programm ohne sozialistische Zielstellung – bedeutet. So wird Unternehmerinitiative gepriesen, der Gegensatz von Kapital und Arbeit fehlt ebenso, wie die Forderung nach Auflösung der NATO. Statt der bisherigen differenzierten Bewertung der DDR erfolgt eine Totalverurteilung.

Der aus der trotzkistischen Tradition kommende Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf legte daraufhin zusammen mit Vertretern der Kommunistischen Plattform und des von ehemaligen DDR-Gesellschaftswissenschaftlern gegründeten Marxistischen Forums einen linkssozialistischen Gegenentwurf mit sozialistischer Zielstellung vor. Die Mehrheit des Parteivorstandes lehnte es allerdings systematisch ab, die Programmentwürfe gleichberechtigt zur Diskussion zu stellen. So wurde über das „Neue Deutschland“ nur der Vorstandsentwurf der Mitgliedschaft zugänglich gemacht.

Auf dem Dresdener Parteitag vom 6. und 7. Oktober 2001 erzielte die Parteilinke eine vernichtende Niederlage. Unter dem Eindruck der Terroranschläge von New York die Programmdebatte wurde zugunsten eines abstrakt pazifistisch formulierten Friedensappells in den Hintergrund geschoben. Mit 90 %er Mehrheit stimmten die Delegierten dem Antrag des Parteivorstandes zu, den reformerischen Programmentwurf der Parteivorsitzenden zur alleinigen Diskussionsgrundlage zu machen. Die Autoren des alternativen Entwurfs bekamen nicht einmal die Gelegenheit, zu sprechen.

 

Die PDS ist an einem Wendepunkt angelangt. Die Partei wird einerseits zum Kristallisationspunkt in der Friedensbewegung. Durch ihren bürgerlichen Pazifismus, verbunden mit Illusionen in die UNO und hilflosen Appellen an die Regierenden in den USA (denen die PDS-Fraktion nach dem 11. September sogar ihrer Solidarität versichert hatte!) trägt die PDS andererseits zunehmend zur politischen Verwirrung und Desorientierung der Arbeiterklasse und der Jugend bei und führt diese im Namen des „Sozialismus“ weiter nach rechts.

 

Die Parteibürokratie, insbesondere die Parlamentsfraktionen, sind der Schrittmacher der Verbürgerlichung der PDS. Ihnen steht eine nach wie vor in weiten Teilen antikapitalistisch gesonnene Parteibasis gegenüber, die durch ihre Autoritätshörigkeit, ihre Harmoniesucht und einen schon fast lächerlichen Personenkult um Führungsfiguren wie Gysi von der Formierung einer effektiven Opposition gehindert wird. Wenn die vorhandenen linken Oppositionsströmungen - vom Marxistischen Forum, Teilen der Kommunistischen Plattform und der Arbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaften bis hin zum Jugendverband Solid und der kritischen Westlinken - nicht zum linken Feigenblatt einer sozialdemokratischen Partei verkommen wollen, müssen sie ihre Kritik auf eine reelle gesellschaftliche Machtbasis stellen. Mit einem klassenkämpferischen Aktionsprogramm wäre die Parteilinke in der Lage, sich mit der Gewerkschaftslinken, der Friedensbewegung, der antifaschistischen Bewegung und auch mit revolutionären Organisationen außerhalb der PDS in der praktischen Aktion zu verbinden. Nur so ließe sich der verbürgerlichten Parteiführung eine wirkliche Opposition entgegensetzen.


Nick Brauns / Johannes Schneider

Februar 2002