Die politischen Gefangenen in Irakisch-Kurdistan fordern Gerechtigkeit


Nahe dem Stadtzentrum von Sulaymania im kurdischen Nordirak ragt ein Gebäudekomplex mit ausgebrannten und von Schüssen durchsiebten Mauern hinter Stacheldraht und Wachtürmen hervor. Hier befand sich seit Anfang der 80er Jahre das örtliche Hauptquartier der Geheimpolizei. Kurdische FreiheitskämpferInnen, KommunistInnen und andere GegnerInnen des Baath-Regimes wurden hier unter Folter verhört, bevor sie ins berüchtigte Gefängnis Abu Ghraib kamen. Beim kurdischen Volksaufstand zu Ende des Golfkrieges 1991 stürmte die Bevölkerung zusammen mit den bewaffneten Peshmerga (Freiheitskämpfern) nach heftigen Gefechten diese Bastille von Sulaymania und befreite die Gefangenen. Seit 2003 erinnert hier ein Museum an die „Opfer der Volksrevolution Kurdistans“. Amna Suraka – so der Name des Gebäudes – ist heute ein Symbol für die so genannte Generation der politischen Gefangenen Kurdistans. Es gab schätzungsweise 30.000 ehemaligen Gefangenen in Kurdistan, die länger als ein halbes Jahr aus politischen Gründen inhaftiert waren. Viele konnte aufgrund der Haft ihre Schul- Universitätsausbildung nicht beenden oder leiden bis heute unter den psychischen und gesundheitlichen Folgen von Folter und Vergewaltigung. Doch während manche ehemalige Folterer heute ein Auskommen bei den Geheimdiensten der herrschenden kurdischen Parteien gefunden haben, gehen die einstigen politischen Gefangenen auch 16 Jahre nach dem Volksaufstand und vier Jahre nach dem Einmarsch der US-Truppen und dem Sturz der Baath-Herrschaft leer aus.


Falsche Versprechungen


Zwar hat die Zentralregierung in Bagdad ein Gesetz beschlossen, um ehemalige Gefangene finanziell, durch Rückgabe von verlorenem Eigentum oder die Möglichkeit eines nachträglichen Ausbildungsabschlusses zu entschädigen. Doch ausgerechnet in Kurdistan, wo sich die Regionalregierung als Erbin des Widerstandes gegen Saddam versteht, wird dieses Gesetz nicht umgesetzt. Dafür bereitgestellte Gelder versickern in den dunklen Kanälen von Korruption und Vetternwirtschaft. Entscheidend für die Anerkennung als Widerstandskämpfer ist nicht, wer früher gegen die Diktatur kämpfte, sondern wer heute in der richtigen Partei ist. Das bedeutet, in der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) des Kurdischen Präsidenten Mesud Barzani oder der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) des irakischen Präsidenten Jalal Talabani. Diese beiden Parteien haben die Macht in der von Bagdad weitgehend unabhängigen Region Kurdistan unter sich aufgeteilt, ihre Einheitsliste beherrscht 80 Prozent des kurdischen Regionalparlaments.


Wir haben unser Blut gegeben und die kurdischen Führer füllen ihre Taschen“, beklagt Fuad. Er gehört der im Februar 2007 gegründeten „Gesellschaft politischer Gefangener Kurdistans“an. Ein Büro der Vereinigung befindet sich nahe der Zitadelle der kurdischen Hauptstadt Erbil. Dort treffen wir auch Masud und Saifadin. Während Fuad früher der Kommunistischen Partei des Irak angehörte, waren sein Freund Masud in der konservativen DPK und Saifadin in der eher sozialdemokratisch orientierten PUK. „Für uns zählen alle ehemaligen politischen Gefangenen gleich - egal, in welcher Partei sie damals waren oder heute sind“, erklärt Masud. Ebenso wie seine einstigen Mitgefangenen hat er seine damalige Partei aus Enttäuschung über ihre jetzige Politik schon lange verlassen. Alle drei waren 16 Jahre alt, als sie Mitte der 80er Jahre wegen ihrer Aktivitäten in der Schülerbewegung verhaftet, gefoltert, von Geheimgerichten zu lebenslanger Haft verurteilt und nach Abu Ghraib gebracht wurden. Im Zuge einer Amnestie nach dem Ende des Iran-Irak-Krieges 1988 kamen sie frei.


Fuad floh nach seiner Freilassung nach Deutschland. „Warum wurden Sie nicht hingerichtet“, zog die Gutachterin des Bundesamtes zur Anerkennung von Flüchtlingen seine Darstellung über Haft und Folter in Zweifel. „Das war wie eine zweite Verurteilung“, erinnert sich Fuad, dem es schließlich doch gelang, als Flüchtling anerkannt zu werden. Jetzt geht es ihm und der „Gesellschaft der politischen Gefangenen Kurdistans“ um die Dokumentation der Schicksale ehemaliger Gefangener. Viele von ihnen, darunter zahlreiche Frauen, haben sich bereits in den von Ehrenamtlichen betriebenen Büros des Verbandes in den kurdischen Städten registrieren lassen. Damit es zu keinen Betrugsversuchen kommt, müssen die Angaben anschließend notariell bestätigt werden. Der Verband macht sicht stark für die Umsetzung des irakischen Entschädigungsgesetzes, für kostenlose Krankenhausversorgung ehemaliger Häftlinge und die Finanzierung von Auslandsreisen für ärztliche Versorgung von Folteropfern. Auch die Einrichtung von steuerfreien Läden für die ehemaligen Häftlinge schlägt der Verband angesichts rapide steigen die Lebenshaltungskosten in Kurdistan vor.


Gestern Saddam, heute die USA


Doch es geht der „Gesellschaft politischer Gefangener Kurdistans“ nicht nur um die Aufarbeitung der Vergangenheit. Viele ihrer Mitglieder waren schockiert, als sie die Bilder von neuer Folter im Abu Ghraib durch die US-Truppen sahen. „Wir wollen in Kurdistan und im Irak keine politischen Gefangenen mehr sehen und die Todesstrafe muss abgeschafft werden.“ Dass die Menschenrechtslage auch in Kurdistan-Irak keineswegs befriedigend ist, hat Human Rights Watch in einem Bericht vom Juli 2007 festgestellt. Dort werden den Geheimdiensten von KDP und PUK Folter und Menschenrechtsverletzungen in Sicherheitsgefängnissen vorgeworfen. Amnesty international beklagt weiterhin willkürliche Festnahmen, Inhaftierungen ohne Anklageerhebung und Gerichtsverfahren, exzessiven Einsatz von Gewalt gegen DemonstrantInnen und die Beschneidung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Im September 2006 wurden auf Anordnung der kurdischen Behörden in der Stadt Erbil elf Männer hingerichtet, die der verbotenen bewaffneten Gruppierung „Ansar al-Islam“ angehört haben sollen. Dies waren die ersten Hinrichtungen in den kurdisch-kontrollierten Gebieten des Nordirak seit 1992.


Nick Brauns, Erbil / Kurdistan


aus: Die Rote Hilfe 4.2007