Aus: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2004/II

 

Kommunist, Nationalbolschewist, Sozialdemokrat

 

Ein Buch über das Leben Otto Grafs und seines Sohnes Wolfgang

 

„Was ist eigentlich Bolschewismus?“ – Mit dieser Frage leitete der KPD-Abgeordnete Otto Graf am 22. Juli 1920 die erste kommunistische Landtagsrede in Bayern ein. Das Münchner Polizeipräsidium beklagte später die massenhafte Verbreitung dieser Rede als Flugschrift unter der Landbevölkerung. „Diese Schrift bedeutet mit ihrem scheinbar logischen Aufbau eine große Gefahr, der von Regierungsseite nicht scharf genug entgegengetreten werden kann.“

 

Die Vorsitzende des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung Ingelore Pilwousek hat das „Leben in bewegter Zeit“ des ersten bayerischen Landtagsabgeordneten der KPD, Lehrers, Journalisten, Historikers und Bundestagsabgeordneten der SPD Otto Graf und seines Sohnes Wolfgang aufgezeichnet. Das Buch basiert auf den Erzählungen von Wolfgang Graf. Der Mitbegründer der Münchner GEW schildert das Leben seines Vaters vor dem Hintergrund der bewegten Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, dem Nationalsozialismus und dem „Neubeginn“ nach 1945. Persönliche Beobachtungen aus seiner Jugend ergänzen sich dabei mit Schilderungen der „großen“ Politik.

 

Aus einer verarmten Ziegeleibesitzerfamilie stammend hatte der am 8.März 1882 geborene Graf die Lehrerlaufbahn eingeschlagen. 1913 trat er in die SPD ein. Kurz nach dem ersten Weltkrieg ließ sich Graf in den vorläufigen Ruhestand versetzten, um seine Zeit der Politik und dem Journalismus zu widmen.

1920 wurde Graf für die KPD in den bayerischen Landtag gewählt. Mehrere KPD-Abgeordnete verbüßten damals als ehemalige Räterepublikaner eine Strafe in Festungshaft. So war es nicht verwunderlich, dass Graf die Massaker der Freikorps bei der Niederschlagung der Räterepublik in den Mittelpunkt seiner Landtagsagitation stellte.

Graf gehörte zu den Mitbegründern der Münchner „Nationalbolschewistischen Bewegung“. Kommunisten wie Graf und der Direktor des Münchner KPD-Organs „Neue Zeitung“ Otto Thomas trafen sich dort 1920 und 1921 mit nationalistischen Politikern wie dem Kriminalpsychologen Professor Hans von Hentig und dem Führer des „Bund Oberland“ Josef Römer, einem Jugendfreund Grafs. Hentig sollte 1923 der KPD seine militärischen Fähigkeiten bei der Aufstellung proletarischer Hundertschaften zur Verfügung stellen und Römer wurde 1944 als Antifaschist hingerichtet.

Ziel der Münchner Nationalbolschewisten war der Kampf gegen den Versailler Vertrag und den bayerischen Separatismus. „Wir Kommunisten treten für einen revolutionären Krieg gegen die Entente gestützt auf das Bündnis mit Russland  ein“, erklärte Graf auf einer von mehreren Tausend nationalistischen Studenten besuchten Kundgebung der KPD im Februar 1921. Praktisches Ergebnis der Zusammenarbeit mit Nationalrevolutionären war vor allem eine Spende von 350.000 Mark aus der Kasse des Bundes Oberland an die kommunistische „Neuen Zeitung“.

War eine solche Zusammenarbeit mit Kreisen der extremen Rechten als „Schlageter-Politik“ während des Ruhrkampfes 1923 und als „Scheringer-Kurs“ Anfang der 1930er Jahre offizielle Parteilinie, so wurden die bayerischen Rechtsabweichler der KPD-Führung 1921 noch zu bunt. Im Februar 1922 wurden Otto Graf und weitere Münchner Parteifunktionäre aus der KPD ausgeschlossen.

Nach seinem Parteiausschluss trat Graf zunächst der USPD und dann wieder der SPD bei. Dort unterstützte er im Richtungsstreik die Pazifistin und Frauenrechtlerin Toni Pfülf gegen den „königlich-bayerischen“ Parteivorsitzenden Erhard Auer. Nicht eine Sozialdemokratie in Bayern, sondern eine folkloristische weiß-blaue Bayern-SPD war das Konzept des rechten Parteiflügels, mit dem erfolglos versucht wurde, der konservativen Bayerischen Volkspartei die Wähler streitig zu machen. Neben seinen politischen Bekanntschaften pflegte Otto Graf enge Freundschaften mit den Schriftstellern Oskar Maria Graf und Eugen Roth.

 

Trotz mehrerer Hausdurchsuchungen und kurzfristiger Inhaftierungen überstand die Familie Graf im Unterschied zu vielen ihrer Genossen den Nationalsozialismus relativ unbeschadet. Da sich Graf weigerte, der NS-Schrifttumskammer beizutreten, durfte er freilich nicht publizieren und die Familie litt echte Not.

 

Als Referent des bayerischen Kultusministeriums baute Otto Graf kurz nach dem zweiten Weltkrieg das Volkshochschulwesen im Freistaat auf und arbeite als Staatskommissar für die Universitäten. Doch bald geriet er mit dem ultraklerikalen CSU-Minister Alois Hundhammer aneinander, der die christliche Bekenntnisschule in der Verfassung verankern und die Prügelstrafe an Schulen wieder einführen ließ. Graf wurde SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag und engagierte sich anschließend als Referent in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. 1971 starb er krank und weitgehend vereinsamt.

 

Allen, die an der wechselhaften Geschichte der Arbeiterbewegung in Bayern interessiert sind, sei dieses aus der subjektiven Sicht eines Zeitzeugen geschriebene Buch ans Herz gelegt. Reden, Artikel und Dokumente von und über Otto Graf, darunter die berühmte „erste kommunistische Landtagsrede in Bayern“ finden sich im Anhang des Buches.

 

Nikolaus Brauns

 

 

Ingelore Pilwousek (Hg.): Otto und Wolfgang Graf. Leben in bewegter Zeit 1900 – 2000. Aliteraverlag München 2003, 280 S., 28 €, ISBN 3-935877-88-9