Strategie der Spannung?
Vor 20 Jahren verübten
Neofaschisten auf dem Münchner
Oktoberfest den schwersten Terroranschlag in Deutschland seit dem Krieg
Von Nick Brauns, München
Freitag, 26. September 1980, 22 Uhr 20: in wenigen Minuten schließen die
Bierzelte auf dem Münchner Oktoberfest. Das Riesenrad dreht seine letzten
Runden. Tausende Menschen, viele von ihnen stark angetrunken, drängen sich
Richtung Ausgang. Ein junger Mann hebt ein Packet über einem Müllkübel. Eine
meterhohe Stichflamme leuchtet sekundenlang empor, dann folgt eine gewaltige
Detonation. Trümmer, Körperteile fliegen umher. Während die Kapellen in den
Bierzelten zur letzten Maß aufspielen ringen Dutzende von Menschen um ihr
Leben.
13 Menschen starben noch am Ort der Explosion oder
kurze Zeit später in den Rettungswagen und Krankenhäusern. 211 Personen
erlitten Verletzungen, mehreren mussten beide Beine amputiert werden. Einer der
Toten war dermaßen verstümmelt, dass die Ermittler darauf schlossen, er habe
die Bombe zum Zeitpunkt der Detonation in der Hand gehalten. Ein Ausweis
identifiziert ihn als den 21 jährigen Geologiestudenten Gundolf Köhler aus
Donaueschingen.
Für die Spitzenpolitiker der Unionsparteien war
sofort klar, dass es sich nur um die Tat von Linksextremisten handeln konnte.
Schließlich hatte CDU-Stahlhelmer Alfred Dregger zuvor in einem Interview
spekuliert, die Rote Armee Fraktion würde demnächst einen Anschlag mit vielen
Toten durchführen. Das Attentat auf der Wiesn ereignete sich nur eine Woche vor
der Bundestagswahl. Franz Josef Strauß war der Kanzlerkandidat der
Unionsparteien. Unter seiner berüchtigten Wahlkampfparole "Freiheit statt
Sozialismus" trat er zum Sturz der sozialliberalen Koalition unter Kanzler
Helmut Schmidt an. Dessen Wahlkampfmotto "Sicherheit für Deutschland"
hoffte die Union mit einer Hetzkampagne vor allem gegen den als zu liberal
empfundenen Bundesinnenminister Gerhard Baum zu kippen.
Während viele Opfer noch mit dem Tod rangen, nutzten
die CSU-Vertreter die Bluttat für ihren Wahlkampf. Der bayerische
Finanzminister eilte aus einem Bierzelt herbei und erklärte "Die FDP ist
doch mitverantwortlich für das, was hier passiert ist." Und
Ministerpräsident Franz Josef Strauß schlug noch in der selben Nacht vor, ein
Flugblatt zu verfassen, dass Bundesinnenminister Baum im Gespräch mit dem
damaligen Linksterroristen Mahler zeige.
Doch entgegen der Prophezeiungen der CSU meldete der
Leiter des Staatsschutzes im bayerischen Innenministerium Hans Langemann
bereits am Samstag Vormittag, der Verdächtige Gundolf Köhler sei dem
Verfassungsschutz als Anhänger der neofaschistischen Wehrsportgruppe Hoffmann
bekannt.
Wehrsportgruppenführer Karl-Heinz Hoffmann gehörte
zu den schillerndsten Gestalten der deutschen Neonaziszene. Über 400 junge
Männer bildete dieser Provinz-Göring zwischen 1974 und 1980 auf seinem Schloss
im bayerischen Ermreuth zu "Grenadieren Europas" aus. Die
selbsternannten "schwarzen Legionäre" gaben an, gegen
"Bolschewismus und Kapital" und für einen volksgemeinschaftlichen
Führerstaat zu kämpfen. Die Gruppe verfügte über mehrere ausgemusterte
Militärfahrzeuge inklusive eines allerdings funktionsuntauglichen Panzerwagens.
In der fränkischen Schweiz hielten die Jungnazis Geländeübungen in Kampfanzügen
mit Gewehrattrappen ab. Dass die Gruppe auch über scharfe Waffen verfügte,
zeigt die Anweisung Hoffmans in seiner Postille "Kommando", die
Mitglieder sollten illegale Schusswaffen außer Haus aufbewahren. Bei einer
dieser Geländeübungen imponierte Gundolf Köhler seinen Kameraden mit einer
selbstgebauten Handgranate.
Der bayerische Innenminister Seidl, ein Bekannter
des Neonazis Gerhard Frey, hatte ebenso, wie sein Nachfolger Gerold Tandler
immer wieder Verbotsforderungen der sozialdemokratischen Landtagsopposition
zurückgewiesen und die Aktivitäten der Hoffmanngruppe als
"Kasperlespiel" verharmlost.
Der von Strauß so gescholtene Bundesinnenminister
Baum verbot die Wehrsportgruppe Hoffmann schließlich am 30.Januar 1980 als
gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Organisation. "Mein Gott,
wenn sich ein Mann vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem
Rucksack und einem mit Koppel geschlossenen battledress spazieren geht, dann
sollte man ihn in Ruhe lassen", verharmloste FJS dagegen noch zwei Monate
nach dem Verbot Naziführer Hoffmann.
Nachdem ausgerechnet ein Mitglieder der von der
bayerischen Staatsregierung so gehätschelten Wehrsportgruppe als Täter des
Wiesnattentats ausgemacht worden war, spekulierte Strauß, ob die
"Braunen" vielleicht von den "Roten", also aus der DDR
bezahlt wurden.
Nur acht Monate nach der Tat, Mitte 1981, beendete
die "Sonderkommission Theresienwiese" ihre Ermittlungen mit dem
Fazit: "Gundolf Köhler dürfte als Alleintäter gehandelt haben. Für eine
Mittäterschaft oder auch nur Mitwisserschaft anderer an dem Sprengstoffanschlag
auf das Münchner Oktoberfest ließen sich keine konkreten Anhaltspunkte
erkennen." Köhler wurde der Öffentlichkeit als ein verwirrter Einzeltäter
präsentiert, der aus Frust über sein Versagen im Studium und wegen sexueller
Probleme gehandelt haben sollte. Ein politischer Hintergrund wurde
ausgeblendet. Bei dieser Darstellung blieb auch Generalbundesanwalt Kurt
Rebmann, als er im Dezember 1982 die Ermittlungen einstellte. Um zu dieser
politisch opportunen Einzeltäterthese zu gelangen, mussten die Ermittlungsbehörden
eine ganze Anzahl gegenläufige Zeugenaussagen unterdrücken.
Da gab es zum einem die Selbstbezichtigungen von
Mitgliedern der Wehrsportgruppe Hoffmann. So rühmten sich Anfang Oktober 1980
in Damaskus zwei Männer gegenüber einem Barkeeper, der sie auf das
Oktoberfestattentat ansprach: "Das waren wir selbst". Die beiden
Männer wurden als Karl-Heinz Hoffmann und sein Vertrauter Walter Behle
identifiziert. Als "alkoholbedingte Aufschneiderei" wiegeln die
deutschen Behörden dieses Geständnis ab. Am 2. August 1982 dreht der 21 jährige
Neonazi Stefan Wagner durch. In schwarzer Uniform mit Hakenkreuz auf der Brust
läuft er Amok. Auf der Flucht vor der Polizei ruft er einem Nachbarn zu:
"Lebend bekommen die mich nicht. Wenn die mich ergreifen, kriege ich
mindestens Zehn Jahre Zuchthaus. Ich war bei der Aktion gegen das Oktoberfest
in München dabei." Das ehemalige Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann
erschießt sich, ehe die Polizei zugreifen kann. Wieder winken die
Ermittlungsbehörden ab. Wagner habe ein Alibi für den 26.9.1980. Dieses Alibi
wurde allerdings nie vom Bundeskriminalamt überprüft.
Mehrere Zeugen hatten sich schon kurz nach dem Anschlag gemeldet. Ein Homosexueller, der auf Kontaktsuche an einem Schwulentreffpunkt in der Nähe des Wiesneingangs wartete, hatte Köhler kurz vor der Tat mit zwei kurzgeschorenen Männern in grünen Parkas beobachtet. Er gibt allerdings an, die Männer nicht näher beschreiben zu können. Nur 38 Jahre alt stirbt dieser Zeuge im Jahr 1982. Bekannte berichteten, seit dem Anschlag habe der lebenslustige Mann unter Angstsyndromen gelitten. Hatte er mehr gesehen, als er der Polizei angab und fühlte sich deswegen bedroht?
Eine weitere Zeugin fertigte sogar Zeichnungen von
den Begleitern Köhlers an, die sie mit ihm in einem Auto in der Nähe des
Oktoberfestes beobachtet hatte. Freunde Köhlers berichteten von Gesprächen, in
denen er darüber spekulierte, ob ein Bombenanschlag die Bundestagswahl
beeinflussen könnte.
Auf frappierende Weise erinnerte das
Oktoberfestattentat an den am 2. August des selben Jahres stattgefundenen
Anschlag auf dem Bahnhof von Bologna in Italien. 85 Menschen wurden durch die
von italienischen Neofaschisten gelegte Bombe ermordet. Mit der "Strategie
der Spannung" versuchten reaktionäre Kreise wie die Geheimloge P2 und der
US-amerikanische Geheimdienst CIA, die starke Kommunistische Partei Italiens zu
stoppen und in der Bevölkerung den Ruf nach einen starken Mann herbeizubomben.
Auch in Deutschland kandidiert mit FJS ein
"starker Mann", der in seinem Wahlkampf gezielt Angst vor dem
Terrorismus schürte. "Man muss sich der nationalen Kräfte bedienen, auch
wenn sie noch so reaktionär sind - mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich
sein" hatte Strauß einmal über im Bezug auf die Neonazis dem SPIEGEL
erklärt.
Bis heute gilt für die Ermittlungsbehörden im Falle
des Oktoberfestanschlags die Einzeltäterthese. Karl-Heinz Hoffmann befindet
sich in Freiheit und renoviert sein Schloss. An die Todesopfer erinnert ein
unscheinbares Mahnmal am Wiesneingang. "Zum Gedenken an die Opfer des
Bombenanschlags" lautet die Inschrift, die keinen Hinweis auf die
neofaschistische Täterschaft gibt.
Quellen für diesen Artikel wurden vom
Antifaschistischen Informations- und Dokumentationsarchiv A.I.D.A in München
zur Verfügung gestellt.