Aus: junge Welt Ausgabe
vom 23.09.2017, Seite 16 / Aktion
Das Labyrinth des
Exils
Mehmed Uzuns Roman führt an
die Wurzeln der kurdischen Nationalbewegung
Von Nick Brauns
Mit Macht drängen die Kurden, deren Heimat
seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches vor 100 Jahren auf die damals
neugegründeten Nationalstaaten Türkei, Irak und Syrien sowie Iran aufgeteilt
ist, heute nach Unabhängigkeit. Im Nordirak will Präsident Massud Barsani über
einen eigenen kurdischen Staat abstimmen lassen. Im Norden Syriens erweisen
sich die kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ als
erfolgreiche Kämpfer gegen den »Islamischen Staat«. Während im Osten der Türkei
die Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, ihren Widerstand gegen den
türkischen Kolonialismus fortsetzt, beginnt es auch in Iranisch-Kurdistan zu
gären.
Der im Unionsverlag erschienene Roman »Im Schatten der
verlorenen Liebe« von Mehmed Uzun führt uns an die Wurzeln der kurdischen
Nationalbewegung. Im Mittelpunkt steht der kurdische Intellektuelle Memduh
Selim, ein in den 1920er Jahren rastlos im Exil zwischen Paris, Istanbul,
Alexandria, Beirut und Damaskus umherirrender, sensibler Berufsrevolutionär.
Als es 1930 am Berg Ararat unter Führung der Geheimorganisation Xoybun (»Selbst sein«) zum Aufstand kommt, stürzt sich
Selim, vom Exilleben zermürbt, in den Kampf. Hier erlebt er, wie seine
Überzeugungen durch den harten Alltag im Widerstand auf die Probe gestellt werden
– und dass seine Liebe zur Tscherkessin Feriha ihn verletzlich macht.
»Das Exil ist ein Labyrinth, das in einer dunklen
Verlorenheit endet«, schreibt Uzun. Dieses Schicksal teilte der 1953 in Siverek im Südosten der Türkei geborene Schriftsteller mit
seinem Helden Selim. Nach mehreren Verhaftungen aufgrund seiner Arbeit als
Journalist floh er 1977 nach Schweden. Dort trug er als Herausgeber kurdischsprachiger Zeitschriften sowie durch seine
Mitarbeit im Kurdischen Institut dazu bei, die kurdische Sprache und Literatur
wieder zu neuem Leben zu erwecken. In der Türkei wurden mehrere seiner Romane
wegen »separatistischem Inhalt beschlagnahmt«. 2005 kehrte Uzun in seine
kurdische Heimat zurück, wo er 2007 in Diyarbakir an Krebs starb.
Mehmed Uzun: »Im Schatten der verlorenen
Liebe«, Unionsverlag, Zürich 2017, 224 Seiten, 12,95 Euro