junge Welt 18.02.2008 / Ausland / Seite 6
Vor neun Jahren erschütterte eine
zuvor nicht für möglich gehaltene Entführung die
kurdischen Gemeinden in aller Welt. Abdullah Öcalan, Gründer
und Vorsitzender der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), war nach
sechswöchiger Odyssee durch Europa in Kenia untergekommen. Von
dort wurde er am 15. Februar, als er die griechische Botschaft
verließ, in die Türkei verschleppt und im Anschluß
–gefesselt und mit verbundenen Augen – öffentlich
vorgeführt, zwei türkische Nationalflaggen im Rücken.
Zunächst von einem Militärgericht zum Tode verurteilt wurde
die Strafe unter internationalem Druck in lebenslänglich
umgewandelt. Bis heute sitzt der ehemalige Guerillaführer im
Ein-Mann-Gefängnis der Insel Imrali im Marmara-Meer isoliert
ein. Sein Gesundheitszustand gab mehrfach Anlaß zu Besorgnis.
Der 15. Februar wird in Kurdistan vielfach auch »Schwarzer
Tag« genannt. Und er wird international mit Protesten begangen.
So erlebte das französische Strasbourg fast auf den Tag genau
neun Jahre nach dem spektakulären Komplott durch Geheimdienste
der Türkei, der USA und Israels gegen die kurdische
Freiheitsbewegung eine Großdemonstration. »Êdî
Bese!« – »Es reicht!« – unter diesem
Motto demonstrierten mehr als 30000 Kurden vor allem aus Deutschland,
Belgien und den Niederlagen am Standort sowohl des EU-Parlaments wie
des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die
Angriffe der türkischen Armee auf kurdische Freiheitskämpfer
und für die Freilassung von Öcalan.
»Wir
verurteilen die Tatsache, daß auch die Europäische Union
und die Staaten Europas der Türkei bei der Verschleppung Öcalans
geholfen haben«, erklärte Ahmet Gülabi Dere vom
Kurdischen Nationalkongreß. Kein EU-Land war bereit gewesen,
dem zunächst im September 1998 nach Rom gereisten
PKK-Vorsitzenden Asyl zu gewähren – und so einen
gewichtigen Beitrag zur Lösung des türkisch-kurdischen
Konflikts zu leisten. Die Demonstranten forderten das
Antifolterkomitee des Europarates CPT auf, endlich die
Untersuchungsergebnisse einer Ärztedelegation öffentlich zu
machen, die im Frühjahr 2007 den von Öcalans Rechtsanwälten
erhobenen Vorwürfen einer systematischen Schwermetallvergiftung
ihres Mandanten nachging.
In der Türkei waren zahlreiche
Kurden bereits am Freitag aus Anlaß des Jahrestages der
Öcalan-Verschleppung in einen Streik getreten. So blieben in der
Millionenstadt Diyarbakir im Südosten der Türkei 90 Prozent
der Läden geschlossen. Vor der Zentrale der prokurdischen Partei
für eine Demokratische Gesellschaft (DTP) wurde demonstrativ
eine schwarze Fahne aufgezogen. Spezialeinheiten der Polizei gingen
in mehreren Städten mit Tränengas, Panzerwagen und scharfen
Schüssen gegen spontane Demonstrationen vor.
In Cizre
nahe der syrischen Grenze wurde ein 16jähriger junger Mann von
einem Polizeipanzer überrollt und getötet. Als daraufhin
zahlreiche Menschen auf die Straßen strömten, eröffnete
die Polizei das Feuer und verletzte zwei Personen. Auch in Hakkari
wurde ein Demonstrant durch einen Kopfschuß schwer verletzt und
61 Personen festgenommen. Aus Protest gegen die Polizeiübergriffe
blieben auch am Wochenende zahlreiche Läden geschlossen oder
wurden nur nach Drohungen der Polizei geöffnet.
junge Welt 19.02.2008 / Ausland / Seite 7
Die türkische Armee bereitet sich
auf eine großangelegte Bodenoperation gegen Guerillakämpfer
der Arbeiterpartei Kurdistans PKK in der Türkei und im Nordirak
vor. Die Frühjahrsoffensive soll der abschließende Schlag
nach einer Reihe von Luftangriffen auf mutmaßliche
Guerillastellungen sein und die Präsenz der PKK im Nordirak
beenden, meldete die als regierungsnah geltende Tageszeitung Zaman am
Montag. PKK-Sprecher bestätigten gegenüber junge Welt, daß
sie mit einer Großoffensive der türkischen Armee zu
Frühjahrsbeginn rechnen.
Entlang der türkisch-irakischen
Grenze sind bereits rund 50000 Soldaten stationiert. Zur Vorbereitung
ihrer für Mitte März angesetzten Frühjahrsoffensive
hat die türkische Armee neue Militärstützpunkte in den
Bergen entlang der irakischen und iranischen Grenze errichtet. Diese
sollen mit Landeplätzen für Kampfhubschrauber,
Thermalkameras zur Bewegungsmeldung sowie Artillerie ausgestattet
werden. Spezialeinheiten der türkischen Armee trainieren zur
Zeit die Erstürmung von PKK-Stützpunkten
Eine
entscheidende Rolle sollen unbemannte Aufklärungsdrohnen
spielen, die von Israel zur Verfügung gestellt wurden. Eine
Reihe dieser von israelischen Experten betriebenen
Heron-Kleinflugzeuge sind bereits auf dem Luftwaffenstützpunkt
bei der ostanatolischen Stadt Batman stationiert; kamen vor den
Luftangriffen auf nordirakische Ziele in den vergangenen Wochen zum
Einsatz. Gleichzeitig mit dem Einmarsch von Bodentruppen in den
Nordirak und Operationen an der türkisch-iranischen Grenze soll
in den kurdischen Provinzen Tunceli, Bingöl, Siirt und
Diyarbakir innerhalb der Türkei eine zweite Front gegen die
Guerilla formiert werden.
Während die türkische
Armee mit Hilfe der israelischen Aufklärung den militärischen
Teil der Operation gegen die PKK übernimmt, wollen die USA der
kurdischen Freiheitsbewegung in Europa das Wasser abgraben. Dazu soll
der diplomatische Druck auf Dänemark erhöht werden, um den
von dort sendenden kurdischen Satellitensender Roj TV zu schließen.
»Wir sind der Auffassung, das Roj TV eine Frontorganisation
für terroristische Aktivitäten und ein Propagandainstrument
der PKK ist«, erklärte Frank Urbancic Jr.,
stellvertretender Koordinator für die Terrorismusbekämpfung
beim US-Außenministerium, zum Abschluß einer zweiwöchigen
Europareise gegenüber Vertretern des türkischen Innen- und
Justizministeriums in Ankara.
junge Welt 22.02.2008 / Ausland / Seite 6
In der Nacht zum Donnerstag begannen
Luftangriffe auf mutmaßliche Stellungen von Guerillakämpfern
der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den Kandil-Bergen im
irakisch-iranischen Grenzgebiet. Auch Ziele nahe der Stadt Raniya und
weitere Gebiete in der Provinz Sulaimaniya seien bombardiert worden,
meldete die Nachrichtenagentur der Patriotischen Union Kurdistans
(PUK). Bewohner der umliegenden Dörfer seien vor den tief
fliegenden Kampfflugzeugen aus ihren Häusern geflohen.
Mit
schwerer Artillerie beschoß die türkische Armee zudem
Ziele in der abgelegenen Bergregion Hakurk. Ȇber Opfer
wissen wir nichts«, erklärte der Sprecher der zur
kurdischen Regionalregierung gehörenden Peschmerga-Miliz Jabbar
Yawar. Von Sirnak und Hakkari aus, kurdische Provinzen in der Türkei,
überschritten zudem Kampftruppen die Grenze zum Nordirak,
meldete die Nachrichtenagentur ANF. Offenbar sei die vor zwei Tagen
vom türkischen Außenminister Ali Babacan als »Option«
angekündigte Bodenoffensive nunmehr begonnen worden. Das
Grenzgebiet wurde für Zivilisten gesperrt. In der Region wurden
kurdische Dorfschützer mit guten Ortskenntnissen zur Teilnahme
an der Operation rekrutiert.
Zuvor hatte das Hauptquartier der
aus der PKK hervorgegangenen kurdischen Volksverteidigungskräfte
(HPG) diese mit dem Staat kollaborierenden Milizen vor einer
Beteiligung an Militäroperationen gewarnt. »In den letzten
Jahren haben wir darauf geachtet, keine Dorfschützer
anzugreifen. Aber wenn sie in dieser Zeit an Operationen teilnehmen,
werden sie zum Ziel. Wir wollen nicht, daß Dorfschützer
sterben und ihre Angehörigen leiden. Aber wir wollen auch
deutlich machen, daß eine Beteiligung an den Operationen hart
bestraft wird.« Eine Bodenoperation bedeute den Tod von
Tausenden Soldaten, so die HPG weiter.
Seit Mitte Dezember hat
die türkische Luftwaffe fünf Angriffswellen auf Ziele in
Nordirak geflogen. Tausende Zivilisten haben ihre Dörfer
verlassen, während die PKK-Guerilla nur geringe Verluste
meldete. Die Angriffsziele werden der Türkei von
US-Spionageflugzeugen geliefert. Zum Einsatz kommen auch von
israelischen Spezialisten betriebene Aufklärungsdrohnen.
junge Welt 23.02.2008 / Ausland / Seite 2
Die Armee der Türkei ist am
Donnerstag abend mit rund 10000 Soldaten etwa zehn Kilometer weit in
den Nordirak eingedrungen. Die Intervention auf fremdes Territorium
wurde am Freitag vom türkischen Generalstab bestätigt. Die
Bodenoffensive werde beendet, »sobald die geplanten Ziele
erreicht sind«, hieß es in der Erklärung auf der
Website der Streitkräfte. Das Militär wolle verhindern, daß
der Nordirak zu einem »Rückzugsgebiet für
Terroristen« werde – gemeint ist die Guerilla der PKK
(Arbeiterpartei Kurdistans). Das Militär werde »darauf
achten, keine Zivilpersonen in Mitleidenschaft zu ziehen«.
Am
Freitag meldeten irakisch-kurdische Peschmerga den Beschuß
mehrerer, bis zu 30 Kilometer von der Grenze entfernt liegender
Dörfer. Bei Luftangriffen seien vier Brücken in der
irakischen Provinz Dohuk zerstört worden. Daran sollen laut
Angaben der PKK-Guerilla auch israelische Kampfflugzeuge beteiligt
gewesen sein. Über den Ausgang von Gefechten zwischen PKK und
türkischer Armee nach dem Einmarsch lagen bei
jW-Redaktionsschluß keine näheren Informationen vor.
Am
Donnerstag abend hatten Peshmerga-Milizen der kurdischen
Regionalregierung im Nordirak türkische Panzer am Verlassen
eines nordöstlich der Stadt Dohuk auf irakischem Territorium
bestehenden türkischen Militärstützpunktes gehindert.
Das meldete die Patriotische Union Kurdistans (PUK). »Es
handelt sich hier um eine Frage der Souveränität und der
Einheit des Irak«, erklärte Falah Bakir für die
Regionalregierung und appellierte an die USA als Besatzungsmacht im
Irak, die »unnormalen Bewegungen« der Türkei zu
stoppen. Matthew Bryza, Staatssekretär im US-Außenministerium,
erklärte, der Einmarsch der Türkei sei »nicht die
beste Nachricht«. Die USA hätten eng mit der türkischen
Regierung zusammengearbeitet, um eine Invasion zu verhindern. Man
habe Informationen über Stützpunkte der kurdischen
PKK-Rebellen geliefert, um »gezielte Luftangriffe« zu
ermöglichen.
Offenbar haben zahlreiche PKK-Kämpfer
in den vergangenen Monaten ihre Stützpunkte im Irak verlassen
und sind in Richtung Kaukasus gezogen. Am Freitag meldeten türkische
und aserbaidschanische Medien, daß die kurdische Guerilla in
den von armenischen Truppen seit Anfang der neunziger Jahre
besetzten, offiziell zu Aserbaidschan gehörenden Gebieten Fuzuli
und Lachin aktiv sei. Der israelische Geheimdienst habe diese
Informationen bestätigt, so die aserbaidschannische
Presseagentur APA. Während die armenische Regierung derartige
Berichte dementierte, zeigte sich der Sprecher der US-Botschaft in
Baku, Jonathan Henik, gegenüber »Radio Free Europe –Radio
Liberty« besorgt. Es könnte zu Anschlägen der
PKK-Guerilla auf die Ölpipeline von Baku zum türkischen
Mittelmeerhafen Ceyhan kommen. In Armenien und Aserbaidschan leben
etwa 200000 Kurden.
junge Welt 25.02.2008 / Titel / Seite 1
Die am Donnerstag in den kurdischen
Nordirak einmarschierte türkische Armee stieß am
Wochenende auf den Widerstand von Guerillakämpfern der
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Während der Generalstab in
Ankara mitteilte, bei den Kämpfen seien bis Sonntag Nachmittag
112 PKK-Kämpfer und 15 Soldaten ums Leben gekommen, nannte
PKK-Sprecher Ahmed Deniz 24 getötete türkische Soldaten,
davon zwei auf türkischem Gebiet. Bislang seien lediglich zwei
Guerillakämpfer gefallen. Die Guerilla habe die Leichen von 15
türkischen Soldaten im Gebiet des Flusses Zap geborgen und werde
deren Identität öffentlich machen. Bei Gefechten nahe der
Grenzstadt El Amadijah schoß die Guerilla nach eigenen Angaben
am Samstag einen türkischen Cobra-Kampfhubschrauber ab. Unter
Berufung auf Militärkreise meldete der Fernsehsender CNN-Türk,
die Operationen im Nordirak würden etwa zwei Wochen dauern.
Türkische Fernsehsender zeigten Kommandoeinheiten in
Winterkampfanzügen im Einsatz.
Der Oberkommandierende der
kurdischen Volksverteidigungskräfte HPG, Bahoz Erdal, rief die
kurdische Bevölkerung in der Türkei zum Aufstand. »Wenn
sie uns zerstören wollen, dann müssen unsere jungen Leute
die Städte der Türkei unbewohnbar machen.« An den
Angriffen im Nordirak seien US-amerikanische Spionageflugzeuge
beteiligt. »Sie versorgen die türkische Armee mit
Informationen über unsere Stellungen, und dann bombardieren
türkische Kriegsflugzeuge das Gebiet«, so Bahoz Erdal.
US-Verteidigungsminister Robert Gates rief die türkische Armee
zu einem zügigen Rückzug aus dem Irak auf, sobald die
»Mission erfüllt« sei. Außenministerin
Condoleezza Rice hatte bereits am Freitag ihre Solidarität mit
dem türkischen Vorgehen erklärte und die PKK den
gemeinsamen Feind der USA und der Türkei genannt. Die
US-Besatzungstruppen verlegten am Sonntag 70 M-1-Abrahams-Kampfpanzer
sowie Schützenpanzer von Mosul in die Provinz Dohuk an der
türkischen Grenze.
Die kurdische Regionalregierung in der
nordirakischen Autonomiezone hatte sich am Samstag für neutral
erklärt. »Wir werden keine Kriegspartei sein im Kampf
zwischen der Türkei und der PKK. Nur wenn die Türken Bürger
unseres Staates oder bewohnte Gebiete angreifen, dann werden wir
erbitterten Widerstand leisten«, erklärte der kurdische
Präsident Masud Barzani. Am Sonntag forderte Barzani auf einer
Pressekonferenz am Regierungssitz Erbil US-Präsident George W.
Bush auf einzuschreiten, weil die türkische Armee auch die
Infrastruktur des Autonomiegebietes zerstöre.
In einer
Resolution des kurdischen Parlaments heißt es, die türkischen
Rechtfertigungen für die Bodenoffensive seien vorgeschoben. In
Wirklichkeit gehe es der Türkei um die Destabilisierung des
»demokratischen Prozesses« in der Region Kurdistan. Auch
Autoren der unabhängigen Website Kurdishmedia mutmaßen,
das tatsächliche Ziel von USA und Türkei sei die Schwächung
der kurdischen Regionalregierung. Diese solle auf die Umsetzung des
Artikels 140 der irakischen Verfassung verzichten, der die
Angliederung weiterer kurdisch besiedelter Gebiete des Irak inklusive
der Erdölstadt Kirkuk an das Autonomiegebiet regelt. Eine
bereits für Dezember 2007 geplante Volksabstimmung war auf Druck
der US-Besatzer auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Eine solche
Schwächung der kurdischen Regierung war neben der Bekämpfung
der PKK die Hauptforderung Ankaras, um im Gegenzug die aggressive
Politik der USA und Israels gegen den Iran zu unterstützen.
junge Welt 26.02.2008 / Ausland / Seite 6
Ankara. Kommandoeinheiten der
türkischen Armee würden mit Hubschraubern zum Hauptquartier
der Arbeiterpartei Kurdistans PKK in den Kandilbergen rund 200
Kilometer von der türkischen Grenze entfernt geflogen. Das
behaupteten türkische Medien am Montag. Nach türkischen
Angaben sind bei den Kämpfen seit Donnerstag 112 PKK- Mitglieder
und 15 Soldaten getötet worden. Entgegen solchen
Erfolgsmeldungen nannte der Oberkommandierende der PKK-Guerilla, Dr.
Bahoz Erdal, den am Donnerstag begonnenen Militäreinmarsch in
den Nordirak eine Katastrophe für die türkische Armee.
Bislang seien mindestens 81 türkische Soldaten ums Leben
gekommen. Dutzende Soldaten seien erfroren und Hunderte verletzt.
Aufgrund des Widerstandes der Guerilla sei die Armee an mehreren
Punkten gezwungen gewesen, ihre Angriffe einzustellen.
Die
irakische Regierung hat die Türkei aufgefordert, ihre
Militäreinheiten aus der Region Kurdistan zurückzuziehen.
Der Angriff verletze die Souveränität des Irak und stelle
eine Bedrohung der Stabilität in der Region dar. Auch der
schiitische Prediger Muktada al-Sadr forderte die türkische
Regierung auf, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen. (jW)
junge Welt 27.02.2008 / Ausland / Seite 2
Die von den USA eingesetzte irakische
Regierung hat den Einmarsch der türkischen Truppen in den Norden
des Landes am Dienstag verurteilt und den sofortigen Rückzug der
Soldaten gefordert. Regierungssprecher Ali al-Dabbagh beklagte eine
»Verletzung der Souveränität des Irak«. Er
forderte die türkische Regierung auf, einen Dialog mit dem Irak
zu beginnen. Bagdad sei bereit, in dreiseitigen Gesprächen mit
der Türkei und den USA darüber zu sprechen, wie verhindert
werden könne, daß die PKK den Nordirak weiter für
Angriffe in der Türkei nutze. Die einseitige Militäraktion
sei aber inakzeptabel.
Auch am Dienstag kam es wieder zu
heftigen Gefechten zwischen der türkischen Armee und
Guerillakämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. In der
gebirgigen Hakurk-Region nahe der iranischen Grenze beschossen
Kampfhubschrauber mutmaßliche Guerillastellungen. Während
die Armee nach eigenen Angaben seit Sonntag nacht offenbar erfolglos
versucht, einen als zentral angesehen Stützpunkt der PKK nahe
der türkische Grenze zu erobern, gingen Guerillakämpfer am
Großen Zab-Fluß in der Region Ahmadiya ihrerseits zum
Angriff auf die Invasoren über.
Bei den Aktionen der
türkischen Armee im Nordirak kommt in großer Menge
Militärtechnik aus deutscher Lieferung zum Einsatz. Das beweisen
Aufnahmen im türkischen Fernsehen. Zu sehen sind Kampfpanzer vom
Typ Leopard I, Kolonnen von Unimog-LKW der Firma Mercedes und
Kommandosoldaten mit den in der Türkei in Lizenz produzierten
G3-Gewehren der Firma Heckler&Koch.
Der türkische
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Dienstag
wirtschaftliche und soziale »Reformen« in den kurdischen
Landesteilen der Türkei angekündigt, um der PKK die
Unterstützung der Bevölkerung zu entziehen. Insbesondere
soll das Südostanatolienprojekt GAP innerhalb der nächsten
fünf Jahre abgeschlossen sein. Da jedoch durch dieses
Staudammprojekt an Euphrat und Tigris Hunderte Dörfer
überschwemmt werden, zielen die angekündigten Reformen
keineswegs auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen der
betroffenen Menschen sondern auf weitere Vertreibungen.
Bereits
am Montag protestierten Zehntausende auf einer Kundgebung der Partei
für eine Demokratische Gesellschaft (DTP) in der
südostanatolischen Metropole Diyarbakir gegen den Krieg. Die
lange Jahre inhaftierte ehemalige Parlamentsabgeordnete Leyla Zana
rief zum Widerstand gegen die »Besatzung« auf und dankte
der Bevölkerung im Nordirak, die mehrfach durch Menschenketten
ein Ausfahren türkischer Panzer verhindert hatte. In den
Abendstunden kam es zu Straßenschlachten mit den
Sicherheitskräften. Auch in Istanbul und Izmir setzten
Jugendliche nachts Autos, Busse und ein Büro der
Regierungspartei AKP in Brand.
junge Welt 29.02.2008 / Inland / Seite 4
Gegen den Einmarsch der türkischen
Armee in den Nordirak haben in den letzten Tagen zahlreiche Kurden in
Deutschland auf Demonstrationen, Veranstaltungen und
Pressekonferenzen protestiert. Rund 1500 Menschen, darunter auch
Mitglieder deutscher und türkischer sozialistischer und
antifaschistischer Vereinigungen, zogen am Mittwochabend in einer
kämpferischen Demonstration durch Berlin-Kreuzberg.
Fernsehaufnahmen aus den Einmarschgebieten belegten die Verwendung
von Militärtechnik aus deutscher Produktion, erklärte Murat
Çakir vom »Europäischen Friedensrat Türkei«
bei der Auftaktkundgebung am Kottbusser Tor und forderte die
europäischen Länder auf, sich mit politischen und
wirtschaftlichen Druckmitteln für die Beendigung des
völkerrechtswidrigen Überfalls einzusetzen.
Entlang
der Strecke gab es immer wieder Solidaritätsbekundungen von
Anwohnern mit aus den Fenstern geschwenkten kurdischen Fahnen.
Zahlreiche Demonstranten riefen trotz der Drohung der Polizei, die
Demonstra-tion zu stoppen, Parolen zugunsten des in der Türkei
inhaftierten kurdischen Politikers Abdullah Öcalan.
Schließlich
sperrten behelmte Polizisten die Straße vor dem angemeldeten
Ort der Abschlußkundgebung. Weil sie den türkischen
Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Sprechchören
als »Mörder« bezeichnet hatten, dürften die
Kriegsgegner nicht in Sichtweite der Türkischen Botschaft in der
Rungestraße demonstrieren, erklärte ein Einsatzleiter der
Polizei.
Der Pressesprecher des Kurdistan-Solidaritätskomitees
und jW-Autor Nick Brauns erklärte über Lautsprecher,
Erdogan trage die politische Verantwortung für das Morden der
türkischen Armee in Kurdistan. Daher sei die Parole »Erdogan
– Mörder« in seinen Augen eine legitime
Meinungsäußerung. Als die Polizei daraufhin den Redner
wegen »Beleidigung« des türkischen
Ministerpräsidenten festnahm, riefen zahlreiche kurdische
Jugendliche »Deutschland – Terrorist«.
Das
Kurdistan-Solidaritätskomitee zeigte sich zuversichtlich, daß
eine Anklage wegen Beleidigung Erdogans ebenso scheitern wird wie
ähnliche Verfahren gegen Kriegsgegner, die nach dem Überfall
der USA auf den Irak aufgrund der Parole »Rumsfeld –
Massenmörder« wegen angeblicher Beleidigung des
US-Verteidigungsministers festgenommen worden waren. In München
legten Kurden am Mittwoch als Zeichen der Trauer einen schwarzen
Kranz vor dem türkischen Konsulat nieder. Kundgebungen gab es
auch in Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Dortmund, Essen und
Duisburg.
junge Welt 01.03.2008 / Ausland / Seite 1
Geschlagen hat die türkische Armee
eine Woche nach ihrem Einmarsch in den Nordirak den Rückzug
angetreten. Zahlreiche Militärfahrzeuge überquerten Freitag
morgen die Grenze zur Türkei. Die von der Armeeführung
verkündeten Ziele, die Präsenz der Arbeiterpartei
Kurdistans PKK im Nordirak zu beenden und deren Führung
auszuschalten, sind am Widerstand der Guerilla sowie dem Winterwetter
gescheitert.
Insbesondere der Abschuß eines
Kampfhubschraubers sowie die pausenlosen Schläge der Guerilla
gegen die Bodentruppen hätten dazu geführt, daß die
türkische Armee ihre Angriffe einstellen mußte, bewertete
der von der Türkei meistgesuchte PKK-Führungskader, Murat
Karayilan, das Scheitern der türkischen Invasion im kurdischen
Fernsehsender Roj TV. »Sie haben Verluste gehabt, die Moral
liegt am Boden«. Die türkische Armee sei hinter der Grenze
kaum zwei Kilometer vorwärtsgekommen. Von über 100
getöteten türkischen Soldaten seien viele im Schnee
erfroren. Auf ihrer Website sprach die Guerilla von fünf während
des Krieges gefallenen Guerillakämpfern.
Der türkische
Generalstab bezifferte die eigenen Verluste in einer Erklärung
zum Abschluß der Bodenoffensive mit 27, während 240
Guerillakämpfer getötet und deren Camps zerstört
worden seien. Der PKK sei gezeigt worden, »daß der
Nordirak für sie keine sichere Region ist«. Die
Armeeführung behielt sich weitere grenzüberschreitende
Operationen ausdrücklich vor. Beobachter rechnen daher mit einer
neuen Bodenoffensive gegen die PKK nach der Schneeschmelze. Die
regierungsnahe türkische Tageszeitung Zaman meldete am Freitag
unter Berufung auf Sicherheitskreise, die Armee wolle elf
Militärstützpunkte auf irakischem Territorium errichten, um
durch eine Pufferzone das Einsickern von PKK-Kämpfern in die
Türkei zu verhindern. Während der letzten Tage hatte die
Bevölkerung der irakisch-kurdischen Kleinstadt Bermerni durch
Menschenketten das Ausrücken von Kampfpanzern verhindert.