junge Welt 25.09.2006 / Politisches Buch / Seite 15
Bis heute gilt »Dachau« als Synonym für faschistische
Barbarei und Willkürherrschaft. Doch kaum einem der vielen tausend Besucher aus
aller Welt, die alljährlich die KZ-Gedenkstätte Dachau besichtigen, dürfte der
Name Otto Kohlhofer bekannt sein. Dabei hatte Kohlhofer als Vorsitzender der
deutschen Lagergemeinschaft Dachau sowie Sekretär im Internationalen
Dachau-Komitee C.I.D. maßgeblichen Anteil an der Schaffung der Gedenkstätte.
Kohlhofers Tochter Christa Willmitzer hat nun zusammen mit ihrem Mann Peter die
Lebensgeschichte ihres Vaters aufgeschrieben.
Unter dem Decknamen »Betti Gerber« war der Jungkommunist
Otto Kohlhofer im Widerstand gegen die Nazidiktatur im Münchner Stadtteil
Neuhausen aktiv, bis seine Widerstandsgruppe dank eines Spitzels von der
Gestapo aufgerollt wurde. Nach zweieinhalb Jahren Zuchthaushaft kam Kohlhofer
ins KZ Dachau. Dort rang er in der Solidargemeinschaft der politischen
Häftlinge ums Überleben. Ohne falsches Heldenpathos, das Otto Kohlhofer
zeitlebens verabscheute, wird die Religions- und Weltanschauungsgrenzen
überschreitende Kameradschaft der Gefangenen aufgrund des gleichen Schicksals
unter der Terrorherrschaft der SS deutlich. Im April 1945 desertierte Kohlhofer
aus der Wehrmacht, in die er als »wehrunwürdig« aber »kriegsverwendungsfähig«
gezwungen wurde. Die Befreiung erlebte er in Wien, wo der ehemalige
Dachauhäftling und spätere österreichische Bundeskanzler Leopold Figl anläßlich
der ersten großen Friedensdemonstration den solidarischen »Geist der
Lagerstraße« über alle Parteigrenzen hinweg beschwor.
Dieser »Geist der Lagerstraße« blieb für Otto Kohlhofer bis an sein Lebensende
die entscheidende Lehre aus der Vergangenheit. So war es ihm als Angestellten
des bayerischen Landwirtschaftsministerium nicht nur möglich, mit dem
ultrakonservativen Landwirtschaftsminister Alois Hundhammer (CSU) kollegial
zusammenzuarbeiten. Es gelang ihm auch, den ehemaligen Abgeordneten der
Bayerischen Volkspartei, der 1933 selber für einen Monat in Dachau inhaftiert
worden war, für sein Projekt der KZ-Gedenkstätte zu interessieren.
Angesichts der Fronten des Kalten Krieges war der »Geist der
Lagerstraße« immer schwerer zu realisieren. Ehemalige französische und
belgische Kriegsgefangene waren in den 60er Jahren in hohe NATO-Positionen
aufgestiegen und setzten innerhalb des C.I.D. durch, daß bei der Enthüllung des
Mahnmals »Rampe des Todes« im September 1968 NATO-Militärformationen in der
KZ-Gedenkstätte aufmarschierten. Es kam zur Rangelei, als Studenten des SDS
gegen den NATO-Aufmarsch protestierten und an die neuen Lager im NATO-Staat
Griechenland erinnerten. Als Kohlhofer vom Exekutivkomitee des Dachau-Komitees
beschuldigt wurde, die öffentliche Meinung aufgewiegelt zu haben, trat er am
27. November 1969 als deutscher Bevollmächtigter zurück. Zukünftig war er bei
den Naturfreunden und der Friedensbewegung aktiv. Gegen den großen Widerstand
der Dachauer CSU engagierte sich Kohlhofer insbesondere für die Errichtung
einer Jugendbegegnungsstätte in Dachau, die nach 18jähriger Auseinandersetzung
erst zehn Jahre nach seinem Tod im Jahr 1998 eröffnet wurde.
Durch Ausschnitte aus zwei umfassenden Interviews kommt Otto Kohlhofer
ausführlich im Buch selbst zu Wort. Seine oftmals erschütternd nüchternen
Berichte werden ergänzt durch sorgfältige historische Recherchen von Christa
und Peter Willmitzer, die das Buch gerade auch für jüngere Leser ohne
historische Vorkenntnisse empfehlenswert machen.
* Christa und Peter Willmitzer: Deckname »Betti Gerber«. Vom Widerstand in
Neuhausen zur KZ-Gedenkstätte Dachau – Otto Kohlhofer 1915-1988, Allitera Verlag,
München 2006, 172 Seiten, 18 Euro, ISBN 3-86520-183-0