11.04.2003
»Kominterniert«
Die KPD im »Schaltjahr 1928« – Klaus Kinners vierter Band zur Geschichte des Kommunismus
Als »schwarzen Tag in der Geschichte der kommunistischen
Weltbewegung« bezeichnet Klaus Kinner den 29. Februar 1928. Damals schlossen
die Delegationen der KPD und der KPdSU(B) am Rande des IX. Plenums der
Komintern-Exekutive ein Geheimabkommen, das einen neuen Linkskurs der KPD
einleitete. Diese Politik mit ihrer scharfen Stoßrichtung gegen die
»sozialfaschistisch« verstandene Sozialdemokratie und die Hoffnung auf einen
baldigen revolutionären Aufschwung trug letztlich entscheidend zur Niederlage
der deutschen Arbeiterbewegung vor dem Faschismus bei.
Als IV. Band der beim Berliner Karl Dietz-Verlag erscheinenden Reihe
»Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus« hat Kinner gemeinsam mit den
ehemaligen DDR-Historikern Elke Reuter, Wladislaw Hedeler und Horst Helas den
Dokumentenband »Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928 – Die KPD am Scheideweg«
vorgelegt. Damit wird die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre von der
Kommunismusforschung begonnene Debatte um die Ursachen der Wandlung der KPD von
einer eigenständigen revolutionären zu einer von Moskau fremdbestimmten
Apparatpartei wiederbelebt.
Lagen die Ursachen dieses je nach Standort des Historikers als
»Bolschewisierung« oder »Stalinisierung« bezeichneten Prozesses in KPD-internen
oder äußeren Faktoren begründet? Führten die Interventionen widerstreitender
Fraktionen der Kominternführung, die auf Strömungskämpfe in der Sowjetunion
zurückgingen, zu den scharfen Kursschwankungen der deutschen kommunistischen
Partei, oder lagen die Ursachen hierfür in den sozialen, politischen und
wirtschaftlichen Konflikten in Deutschland sowie den Mitgliederinteressen und -einstellungen
innerhalb der KPD?
Es ist das Verdienst von Kinner und Kollegen, aus der Vielzahl im Archiv der
Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde
eingelagerten KPD-Archivalien eine repräsentative Auswahl vorgelegt zu haben.
Diese Dokumente werfen ein Schlaglicht auf die innerparteilichen
Auseinandersetzungen und decken so manche Fälschung der SED-offiziellen
Geschichtsschreibung auf. Wie ein Krimi liest sich so die Geschichte der
Richtungskämpfe innerhalb der KPD.
»Die KPD der Jahre 1927 bis 1929 – zehn Jahre nach dem Oktoberumsturz der
Russischen Revolution – stand vor einer Entscheidungssituation, die die Wahl
zwischen zwei alternativen Entwicklungswegen dringlich einforderte: dem Weg
genuiner proletarischer Emanzipation eines demokratischen Sozialismus in der
Folge Rosa Luxemburgs oder dem Weg der Verabsolutierung der durch Stalin auf
den Umsturz verkürzten Russischen Revolution.« So die Grundthese der
Herausgeber.
Seit dem Scheitern des »deutschen Oktobers« 1923 stand die KPD vor der Frage,
wie revolutionäre Politik in nichtrevolutionären Zeiten auszusehen habe. Damit
verbunden war die Frage nach dem Verhältnis zur Sozialdemokratie. Realistisch
erscheint heute der Ansatz der Partei»rechten« um August Brandler, ein
Aktionsprogramm mit Übergangsforderungen auszuarbeiten, das Tagesinteressen der
Arbeiterklasse aufgreift, aber in seiner Konsequenz die Klassenkämpfe
weitertreibt und so die Notwendigkeit eines revolutionären Sturzes des
Kapitalismus verdeutlicht. Die Parteilinke um Ernst Thälmann lehnte ein solches
Übergangsprogramm als Einknicken vor dem Reformismus ab und setzte auf
Verbalradikalismus und eine scharfe Diffamierung der SPD zur Betonung des
eigenen kommunistischen Profils.
Deutlich wird, wie der Linkskurs in der Kaderpolitik der KPD mit bürokratischen
Mitteln verankert wird. Dokumentiert werden Korrespondenzen der nach der von
ihnen mitverschuldeten Oktoberniederlage 1923 in Moskau »kominternierten«
ehemaligen Parteiführer August Thalheimer und Heinrich Brandler, denen die
Rückkehr nach Deutschland verweigert wurde, um sie aus den Linienkämpfen
herauszuhalten. Aus Briefen Clara Zetkins an Thälmann und Pjatnitzki wird ihre
Kritik an Thälmanns Cliquenwirtschaft und ihre Sympathien für die Parteirechte deutlich.
Ebenfalls dokumentiert wird die Wittorf-Affäre um den der
Parteigelderhinterziehung überführten Thälmann-Schwager. Gegen den Willen
breiter Teile der Hamburger KPD-Basis und des ZK der KPD setzte damals ein
Machtwort Stalins durch, daß Thälmann, der seinen Schwager gedeckt hatte,
Parteivorsitzender blieb. Die Wittorf-Affäre erscheint heute als jene letzte
Kraftprobe, in der die Parteiführung »von Moskaus Gnaden« die »Rechten« bei
ihrem Versuch, die Parteibasis gegen die Führung zu mobilisieren, ausschalten
konnte.
Kinners Interpretationsansatz, der für die »ultralinke« Politik der KPD
innerparteiliche Linienkämpfe allein verantwortlich macht, ist jedoch allzu
monokausal. Warum ließ sich die KPD so einfach auf Moskauer Kurs bringen? Warum
konnten die realistischeren Kräfte der rechten Opposition aus der Partei
gedrängt werden und die »versöhnlerische Mittelgruppe« um Ernst Meyer
neutralisiert werden? Warum stieß die These vom »Sozialfaschismus« der SPD auf
die Zustimmung breiter Teile der KPD-Parteimitgliedschaft? Diese für das
Verständnis des deutschen Kommunismus wichtigen Fragen werden weder durch die
vorgelegten Dokumente aus dem Parteiapparat noch durch die Kommentierung der
Herausgeber beantwortet.
So muß die Entwicklung des deutschen Kommunismus im Wechselverhältnis der
politischen und ökonomischen Krise in Deutschland einerseits und einer durch
eben diese Umstände radikalisierten Anhängerschaft der KPD andererseits
verstanden werden, die wiederum für die Eingriffe der Komintern-Führung einen
günstigen Boden schufen. Bei einer immer rascheren Fluktuation der
Parteimitgliedschaft mußte der aus Moskau finanzierte und abhängige
Hauptamtlichenapparat zwangsläufig immer mehr Macht erhalten. Der vor dem
Hintergrund der Weltwirtschaftskrise sich wandelnde Charakter der KPD von einer
Arbeiter- zu einer Arbeitslosenpartei brachte die Partei um reelle
Machtpositionen in Betrieben und Gewerkschaften und förderte zugleich die
Akzeptanz verbalradikaler Politikkonzepte und blutiger Straßenkämpfe.
Die Reaktion der KPD auf Ereignisse wie den »Berliner Blutmai« von 1929 oder
die Einrichtung von Schnellgerichten unter der Notverordnungsdiktatur 1932
verdeutlichen, daß es die praktische Erfahrung mit der Rolle der
Sozialdemokratie im Staat sowie mit dem rapiden Abbau demokratischer Rechte
war, die zu einer Radikalisierung kommunistischer Politik führten.
Das Buch verfügt über einen ausführlichen Anhang mit kommentierten
Personenregister und einem Überblick über die Führungsstrukturen der KPD
zwischen dem 11. und 12. Parteitag. Eine beigelegte CD-Rom enthält die
vollständigen Texte der 123 im Buch auszugsweise vorgestellten und
kommentierten Dokumente.
* Klaus Kinner u.a.: Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928 – Die KPD am
Scheideweg. Eine kommentierte Dokumentation, Karl Dietz Verlag, 2003, Berlin,
296 Seiten & CD-Rom, 19,90 Euro
Nick Brauns