junge Welt 16.08.2007 / Ausland / Seite 7


»Schwarzer Tag«

Zerstörung Kurdistans mittels Ilisu-Staudammbaus beschlossene Sache. Finanzierung übernehmen europäische Banken

Von Nick Brauns

Rund ein Jahr nach dem offiziellen Baubeginn scheint die Finanzierung für den Ilisu-Großstaudamm in der Osttürkei gelöst. Ein Kredit über 1,2 Milliarden Euro wird von einer internationalen Bankengruppe unter Führung der österreichischen Vatech Finance GmbH bereitgestellt.

Nachdem die türkische Wasserbehörde DSI am Dienstag den Vertrag mit dem aus 14 deutschen, österreichischen, Schweizer und türkischen Firmen bestehenden Ilisu-Konsortium unter Führung des österreichischen Anlagenbauers Andritz unterzeichnete, folgte am Mittwoch die Vertragsunterzeichnung des Konsortiums mit den beteiligten Banken. Dies ist die Voraussetzung für die Freigabe von Exportrisikogarantien, die die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bereits Ende März trotz jahrelanger Proteste von Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen zugesagt hatten. Deutschland ist mit einer Hermesbürgschaft in Höhe von 93,5 Millionen Euro für den Stuttgarter Baukonzern Ed. Züblin beteiligt.

Während der türkische Energieminister Hilmi Guler die Realisierung dieses »Kronprojektes unserer Regierung« einen Akt der Entschlossenheit nannte, sprachen die in der »Initiative zur Rettung von Hasankeyf« zusammengeschlossenen kurdischen Stadtverwaltungen und Nichtregierungsorganiationen von einem »schwarzen Tag« auch für die beteiligten euro­päischen Länder. Das Ilisu-Projekt widerspreche den internationalen Standards von Weltbank und OECD für Großprojekte.

Der 135 Meter hohe und 1820 Meter lange Ilisu-Staudamm ist das Herzstück des seit den 80er Jahren geplanten Südostanatolienprojektes GAP, in dessen Rahmen 22 Dämme und 19 Wasserkraftwerke an Euphrat und Tigris errichtet werden sollen. Die türkische Regierung preist das Bauvorhaben als Modernisierung der armen südostanatolischen Provinzen an. Doch das GAP dient vor allem der politischen Kontrolle über die nach Autonomie strebenden kurdischen Landesteile und soll der kurdischen Befreiungsbewegung durch sozioökonomische Umwälzungen und weitere Dorfzerstörungen die Grundlage zu entziehen.

Bis zu 55000 Menschen müssten zwangsumgesiedelt werden, wenn ihre Dörfer oder ihr Ackerland in den Fluten des 300 Quadratkilometer großen Stausees untergehen. Während finanzielle Entschädigungen vor allem örtlichen Großgrundbesitzern zufließen, müßte die Masse der Vertriebenen in den schon jetzt Kriegsflüchtlingen überlasteten Elendsvierteln umliegender Großstädte wie Diyarbakir oder Batman dahinvegetieren. Über 80 Prozent der Bewohner in der am meisten betroffenen Provinz Batman lehnen den Dammbau ab, ergab eine Studie von Projektgegnern.

Durch den Damm wird neben 95 Dörfern auch die rund 10000 Jahre alte mesopotamische Stadt Hasankeyf überflutet. Der Plan der türkischen Regierung, die zum Teil direkt in die Felsen am Tigrisufer gebauten historischen Monumente in einer Art archäologischem Disneyland an anderer Stelle neu zu errichten, wird von Archäologen als völlig unrealistisch eingeschätzt. Umweltschutzorganisationen befürchten zudem die Zerstörung der Lebensgrundlagen vieler Tierarten im bislang naturbelassenen Tigristal.

Mit der Aufstauung des Tigris kann die Türkei die von diesem Wasser abhängigen Anrainerstaaten Syrien und Irak politisch unter Druck setzen. Dies könnte sich die türkische Regierung zunutze machen, um eine größere Autonomie der nordirakischen Kurden zu verhindern.

Türkischen Medienberichten zufolge soll der Dammbau von 5000 Soldaten abgesichert werden. Die Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans PKK hatte mehrfach Angriffe auf Ilisu angedroht und europäische Unternehmen davor gewarnt, sich an der Zerstörung der kurdischen Geschichte und Kultur zu beteiligen. Mit zivilen Mitteln will die »Initiative zur Rettung von Hasankeyf« weiter gegen den Dammbau mobilmachen.