IWK 1/2004
Brauns, Nikolaus: Schafft Rote
Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation
für politische Gefangene in Deutschland (1919–1938). – Bonn:
Pahl-Rugenstein Verlag 2003. 345 S.
Die Rote Hilfe.
Die Geschichte der internationalen kommunistischen “Wohlfahrtsorganisation“ und
ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921 bis 1941). Mit einem Vorwort von
Rudolph Bauer. Hrsg. von Sabine Hering und Kurt Schilde. – Opladen: Verlag Leske
+ Budrich 2003. 326 S.
Die beiden
Werke behandeln die Rote Hilfe, eine der wichtigsten und erfolgreichsten
Organisationen im Vorfeld der KPD.
Brauns präsentiert mit seiner Untersuchung, einer 2002
an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität angenommenen historischen Dissertation,
gestützt auf umfangreiche archivalische Quellen, die erste wissenschaftliche
Gesamtdarstellung der Geschichte, Organisation und Tätigkeit der Roten Hilfe in
Deutschland während der 1920er und 1930er Jahre. Der Drucküberarbeitung ist es
zu verdanken, daß dieses anderswo bereits als Standardwerk gepriesene Buch
zugleich sehr lesens- und wegen der Abbildungen und Faksimiles auch sehenswert
ist.
Die neun Autorinnen und
Autoren, darunter auch Brauns, des von Hering und Schilde herausgegebenen
Sammelbandes nehmen die Rote Hilfe als “internationale kommunistische
‚Wohlfahrtsorganisation‘“
in den Blick, wobei der Schwerpunkt auf deren sozialen und pädagogischen
Aktivitäten in Deutschland liegt, mit Beiträgen zum organisatorischen Aufbau
und zu ihren Aktivitäten
sowie Portraits bedeutender Protagonisten, bereichert durch ausgewählte
Dokumente. Alles in allem
stellt diese Sammlung jedoch eher eine interessante Ergänzung zu der
Gesamtdarstellung von Brauns dar, während sie für sich genommen eine verkürzte
Sicht auf die Rote Hilfe bietet. Bei der Suche nach strukturellen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten
der Roten Hilfe, die sich selbst nicht als “Wohlfahrtsorganisation“ verstand,
mit bürgerlichen und kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen anstatt mit der
sozialdemokratischen Arbeiterwohlfahrt entstehen “Schieflagen“. So kritisiert
Ursula Krause-Schmitt zurecht den Vergleich der Hilfe für polizeilich gesuchte
Kommunisten zur Flucht in die Sowjetunion mit den vom Roten Kreuz nach 1945
organisierten “rat lines“ für NS-Verbrecher nach Südamerika.1
Beiden Büchern ist das
Anliegen gemeinsam, die selbst in der aktuellen Forschungsliteratur bislang
meist ignorierte oder lediglich kursorisch gestreifte Rote Hilfe dem Vergessen
zu entreißen, zumal viele der von der Roten Hilfe angesprochenen Themen noch
heute im Mittelpunkt der im Spannungsfeld von Politik und Sozialarbeit
ausgetragenen Debatten stehen.
Am Anfang beider
Publikationen steht die Organisationsgeschichte. Deren Ursprünge führen in die
Zeit der Niederschlagung des Berliner Januaraufstandes 1919 und der
bayerischen Räterepublik zurück. In dieser Situation entstanden zum einen aus
eigener Initiative heraus eine von Arbeiterfrauen getragene, karitative
Frauenhilfe, zum anderen Unterstützungskomitees bei der USPD und den
revolutionären Obleuten. Aus diesen gingen 1921 die ersten Rote-Hilfe-Komitees
hervor, die sich 1924 zur Roten Hilfe Deutschlands zusammenschlossen. Die
Verknüpfung beider Hilfsstrukturen verdeutlicht sich an der Person der
KPD-Landtagsabgeordneten Rosa Aschenbrenner. Sie war eine Mitbegründerin der
Frauenhilfe und übernahm nach deren erzwungener Auflösung 1923 ein Jahr später
die Leitung des Rote-Hilfe-Komitees in Bayern. Im Hinblick auf Vorläufer
und Ursprung der Roten Hilfe sind besonders instruktiv der Beitrag von
Schilde “Schafft Rote Hilfe!“ und Günther Gerstenbergs Kurzbiographie über Rosa Aschenbrenner. Brauns
gelingt es besser, die drei Säulen der Arbeit der Roten Hilfe herauszuarbeiten,
die er zunächst in der Masse der einfachen Arbeiter sieht, die als Mitglieder,
Funktionäre und Spender die Organisation getragen hätten, sodann als zweitem Standbein in den etwa
300 Rechtsanwälten unterschiedlicher politischer Gesinnung und schließlich im
auch beim demokratischen Bürgertum wahrgenommenem “Gesicht“, mit der Reihe
couragierter Intellektueller, darunter Erich Mühsam, Kurt Tucholsky,
Thomas Mann und Albert Einstein, die sich nicht scheuten, mit ihrem bekannten
Namen für die Rote Hilfe oder einzelne Kampagnen zu werben. Gerade um die Anwerbung
bekannter Intellektueller und Künstler hat sich die “Genossin Resolut“ Jelena
Stassowa, die im Sammelband von Elena Resch porträtiert wird, in ihrer Funktion
als Geschäftsführerin des Zentralkomitees der Roten Hilfe besonders verdient
gemacht. Ansonsten war jedoch die obere Führungsebene der Roten Hilfe durchweg
von Männern dominiert, die Frauen blieben meist auf praktische sozialpolitische
Tätigkeiten beschränkt. Und das, obwohl die Rote Hilfe Deutschlands nicht nur
zur größten revolutionären Massenorganisation der Weimarer Zeit anwuchs (1932:
375000 Einzel- und 651000 Kollektivmitgliedschaften), sondern zugleich auch die
proletarische Organisation mit dem höchsten Frauenanteil war (1932: 92000
weibliche Mitglieder = 26,7 Prozent der Individualmitgliedschaft). Ihrem Selbstverständnis nach
verstand sich die Rote Hilfe statutengemäß als “eine überparteiliche
Hilfsorganisation zur Unterstützung a) der proletarischen Klassenkämpfer, die
wegen einer aus politischen Gründen begangenen Handlung oder wegen ihrer
politischen Gesinnung in Haft genommen sind; b) der Frauen und Kinder von
inhaftierten, gefallenen oder invaliden Klassenkämpfern des Proletariats“. Auf
den ersten Blick scheint die Statistik diesen Anspruch zu untermauern, denn
juristische bzw. materielle Unterstützung wurde auch Angeklagten und
Gefangenen anderer Strömungen der Arbeiterbewegung gewährt und 60 Prozent der
Mitglieder sowie die Hälfte der unteren Funktionäre rekrutierten sich aus dem
nichtparteigebundenen linken proletarischen Milieu. Doch ist dieses Ergebnis
deutlich zu relativieren. Denn aus Sicht der KPD-Führung bedeutete
Überparteilichkeit hauptsächlich, daß die Rote Hilfe für nichtkommunistische
Mitglieder im Sinne einer “Einheitsfront von unten“ offen war, während sie
selbst die Führung innehatte. Ausdruck dessen ist, daß insbesondere die
Führungspositionen auf Reichs- und Bezirksebene fest in der Hand von
Parteikommunisten waren. Nur bis 1929, so Brauns Analyse, habe es einen
gewissen Spielraum für nichtkommunistische Aktivisten oder kommunistische
Kritiker der jeweiligen KPD-Führung gegeben, danach habe sich die Rote Hilfe
nach weitreichenden Säuberungen zu einer offenen Hilfstruppe der KPD gewandelt.
Gerade in diesen Fraktionskämpfen und den damit einhergehenden Ausschlüssen von
Mitgliedern der KPD-Opposition sehen sowohl Brauns als auch Schilde die
Ursache für eine weitgehende Schwächung der Organisation . Diese
Schlußfolgerung liegt in der Tat nahe, denn angesichts ihrer Schlüsselrolle als
Bindeglied zu nichtkommunistischen Teilen des Widerstands bedeutete der Verlust
an Glaubwürdigkeit gerade in bezug auf die Überparteilichkeit einen herben
Rückschlag. Diese Analyse wird – quasi als ausführliche Version von Brauns
Beitrag im Sammelband zur “Proletarischen Klassensolidarität“ –
eingebettet in eine Darstellung der Stellung der Roten Hilfe innerhalb der
Arbeiterbewegung insgesamt, welche verdeutlicht, daß das Verhältnis zwischen
der KPD und den übrigen linken Strömungen spannungsgeladen war.
In dem Kapitel “Routine und
Rituale“ gibt Brauns einen ersten Einblick in den Alltag der Rote-Hilfe-Ortsgruppen,
deren umfangreiche Aktivitäten ohne den extrem hohen Anteil erwerbsloser
(1932: 80 Prozent der Einzelmitglieder) und zugleich parteiloser Mitglieder
nicht möglich gewesen wäre. Ein an diese Gruppe gerichteter Terminkalender
verdeutlicht die hohen Ansprüche der Roten Hilfe und gibt Aufschluß über die
zeitraubendsten Aktivitäten: die Teilnahme an Funktionärssitzungen bzw.
Rote-Hilfe-Versammlungen, die Propaganda und das Sammeln von Geldspenden. In
bezug auf die Agitation wirft Brauns einen Blick auf die neben den
Printpublikationen, denen er auch im Sammelband unter dem Titel “Trotz alledem“
einen eigenen Beitrag widmet, stehenden Propagandamittel, insbesondere auf
Konzert- und Theaterabende mit Agitations- und Propagandagruppen sowie
proletarischen Theatergruppen, die ein ebenso beliebtes wie erfolgreiches Mittel der
Öffentlichkeitswerbung darstellten. Aber auch Dia- und Filmvorführungen
erreichten ihr Publikum, soweit sie der Zensur entgehen konnten. Ein
weiteres konstituierendes Element in der “Liturgie des kommunistischen
Kirchenjahres“ stellten die Gedenkfeiern für die Toten der Revolution dar: so
wurde am 18.März der “Tag der politischen Gefangenen“ begangen und am 15.Januar
die “LLL-Feier“ (Lenin-Liebknecht-Luxemburg), ergänzt durch Leviné-Gedenkfeiern
oder die sogenannte Clara-Zetkin-Woche. Der Abschnitt über die “Rote Wohlfahrt“
verdeutlicht, daß die vielgestaltigen Unterstützungsleistungen, wenn sich auch
die Mittel in erster Linie aus Mitgliedsbeiträgen speisten, ohne die an zweiter
Stelle folgenden Sach- und Geld-Sammlungen nicht hätten finanziert werden
können.
Die Darstellung schließt ein
die Hilfe für die unter erbarmungswürdigen Lebensverhältnissen leidenden, meist
auch traumatisierten Kinder der inhaftierten oder getöteten Arbeiter, insbesondere die zwei von
der Roten Hilfe unterhaltenen Kinderheime, das 1923 eröffnete Kinderheim
Barkenhoff in Worpswede sowie das 1925 in Betrieb genommene Heim in Elgersburg
im Thüringer Wald. Im Sammelband werden diese Kinderheime ebenfalls
dargestellt: im Beitrag von Sabine Hering über “Die Kinderheime der Roten
Hilfe“, mit einem Schwerpunkt auf Möglichkeiten und Grenzen von
Kurzzeiterholung und weltanschaulich gefärbter Kurzzeitpädagogik; dabei ist
einerseits die Quellenlage bezüglich ideologischer Streitfragen offensichtlich unzureichend, andererseits
belegt der Vergleich des “missionarischen Eifers“ in der Erziehung
“christlicher und kommunistischer Provenienz“ die Praxis der “politischen
Religion“. Im Sammelband wird der Themenschwerpunkt “Das proletarische Kind“
noch ergänzt durch
Herings Beitrag über Edwin Hoernles Erziehungstheorien, dessen Konzept
der “Selbsterziehung“ gegen die “Erziehungsagenturen“ Familie und Schule starke
Vorbehalte hegte; für Hoernle galt allein die proletarische Kinder- und
Jugendgruppe als “Energiezentrale“ für die Propaganda und Kampftätigkeit der
Kinder in Familie, Schule und Betrieb. Dabei wird jedoch weder der Stellenwert
Hoernles als pädagogischer Theoretiker deutlich, noch seine Kritik an den
kommunistischen Kinderheimen hinreichend gewürdigt. In deren Arbeit gewinnt man
Einblicke durch die Kurzbiographien Sandra Schönauers über Ella Ehlers,
die als Wirtschaftsleiterin sowohl in Worpswede als auch in Elgersburg wirkte,
und Ulla Pleners über Helmut Schinkel, einem Erzieher auf dem “Barkenhof“ in
den Jahren 1924/25.
In den Kapiteln “Freiheit für
alle proletarischen politischen Gefangenen“, “Justiz und Klassenkampf“ sowie
“Politische Flüchtlinge und das Asylrecht“ führt Brauns den Leser in die
Arbeitsweise der Roten Hilfe ein: anhand der großen öffentlichen Kampagnen zu
Themen wie §218 StGB oder zum Asylrecht sowie für eine Amnestie als Korrektur
der Rechtsprechung im allgemeinen und für die Freilassung von Erich Mühsam, Max
Hoelz, Rudolf Margies, Karl Peters, Richard Scheringer und Claus Heim im
besonderen; ferner durch die Schilderung des Wirkens im
Alltag (juristische und moralische Betreuung Angeklagter bzw. Gefangener)
bzw. im Verborgenen (Beschaffung falscher Dokumente, Schleusungen über
Staatsgrenzen). Zu diesem Zweck wurden in allen Orts- und Betriebsgruppen der Roten Hilfe
Rechtsschutzkommissionen eingerichtet, die sowohl prozeßvorbereitend
(Hinzuziehung von Rechtsanwälten,
Beschaffung von Entlastungszeugen, Sammeln von Beweismaterialien) als
auch durch weitere Hilfe (Gefängnisbesuche, Briefe in den Knast einerseits,
Fluchthilfe andererseits) tätig waren. Auf den Aspekt der Rechtsberatungspraxis
der Roten Hilfe legt auch Carola Tischler in ihrem Beitrag ihr Hauptaugenmerk,
indem sie die finanzielle, personelle und organisatorische Verflechtung der KPD
mit der Roten Hilfe beschreibt sowie deren Anwälte und Mandanten bzw. die
Praxis der Rechtsberatung, die Verteidigungsstrategie vor Gericht und die Gefangenenbetreuung.
Wie sehr diese Tätigkeit auf zeit- und kraftraubendem persönlichen Einsatz
angewiesen war, stellt Tischler in der Kurzbiographie des Juristen Felix Halle
dar.
So wie Schilde zutreffend
auch den Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus richtet, so kommt dieser
Aspekt auch bei Brauns nicht zu kurz. So erfährt man hier von den Kampagnen zur
Rettung von Sacco und Vanzetti in den USA und vom Engagement für die
Freilassung politischer Gefangener im faschistischen Italien oder den
Diktaturen Bulgariens und Ungarns.
Im Abschnitt “Illegal unter
dem Hakenkreuz – Exil – Ende der Roten Hilfe“ leistet Brauns dann
einen Beitrag zum Thema “Möglichkeiten und Grenzen des Widerstands“ unter dem NS-Regime,
mit den Bemühungen der Roten Hilfe um die Schaffung “antifaschistischer Einheits- und Volksfronten“.
Zumindest für den kommunistischen Widerstand kam der Roten Hilfe als der
einzigen im
NS-Regime (bis 1938) aufrechterhaltenen Massenorganisation der KPD eine
Schlüsselrolle zu. Dabei spielten Frauen als Kuriere eine
wichtige Rolle.
Während Brauns die
bedeutenden Persönlichkeiten im Rahmen seines Textes skizzenhaft vorstellt,
machen im Sammelband die Kurzbiographien die Hälfte der Beiträge aus. Außer den
bereits erwähnten Lebensbeschreibungen von Jelena Stassowa, Rosa Aschenbrenner,
Felix Halle, Ella Ehlers
und Helmut Schinkel werden durch Brauns der Maschinenfabrikarbeiter
Eugen Schönhaar als “Mann im Hintergrund“, der seit 1923 im Exekutivkomitee
der Internationalen Roten Hilfe (IRH) arbeitete und von Hering die Schweizer KP-Funktionärin und Mäzenin
der IRH Mentona Moser vorgestellt.
Auch wenn die Bewertung von
Andreas Bodden, Brauns schütte nicht das Kind mit dem Bade aus oder besser
gesagt nicht den Kommunismus mit der Kritik an der KPD und an der RH, vielmehr
sei das Buch auf eine angenehme Art parteiisch und gleichzeitig so akribisch
recherchiert, daß es auch wissenschaftlichen Ansprüchen genüge, nachdenklich
stimmen mag, so trifft sie im Kern dennoch zu.2 Zurecht verweist er darauf,
daß Brauns gerade im Hinblick auf den Einfluß sowohl der deutschen KPD als auch
der Stalinschen KPdSU auf die Rote Hilfe durchaus kritische Töne anschlägt,
etwa wenn es um den Kurs der KPD Anfang der 1930er Jahre geht, wo die nationale
Befreiung programmatisch vor die soziale Befreiung gesetzt wurde, oder wenn von
der (Nicht-)Thematisierung der Verfolgung politisch Andersdenkender in der
Sowjetunion aus den Reihen der Roten Hilfe die Rede ist.
Brauns verortet die
Geschichte der Roten Hilfe u.a. im Spannungsfeld der Organisations- und
Sozialgeschichte der Arbeiterbewegung und des Kommunismus. Dieser Ansatz
erscheint uns zutreffend, während im Sammelband primär Aspekte der Geschichte
“linker bürgerlicher Philanthropie“ und bürgerschaftlichen und bürgerlichen Engagements
in der Weimarer Republik im Vordergrund stehen sollen (Bauer, S.13). Gegenüber
der begrenzten Auswahlbibliographie des Sammelbandes bietet die bahnbrechende
Arbeit von Brauns
auch einen exzellenten Überblick über den Forschungsstand und die
einschlägige Literatur.
Albrecht Götz von Olenhusen und
Jens David Runge
1 Informationen des Studienkreises Deutscher Widerstand 1939–1945 e.V., Nr.58, November 2003.
2 Sozialistische Zeitung, Jg.19 (2004), Nr.12 v. April.