Aus: junge Welt Ausgabe vom 09.03.2015, Seite 15 / Politisches Buch

Schlecht repräsentiert

Rodoula Matziaris Untersuchung über den Umgang der IG Metall mit Migranten gelangt zu einem ernüchternden Fazit

Von Nick Brauns

Die Industriegewerkschaft Metall (IGM) nennt es selbst eine »Erfolgsgeschichte«. Als erste Gewerkschaft im Dachverband DGB setzte sie sich seit den 60er Jahren kontinuierlich mit der Frage der Arbeitsmigration auseinander und bildete dazu flächendeckende Organisationsstrukturen. Die Sozialwissenschaftlerin Rodoula Matziari widerspricht dieser Darstellung jedoch. In ihrer Studie »Migrantinnen und Migranten in der Industriegewerkschaft Metall« untersucht sie empirisch, wie die unterschiedlichen Milieus innerhalb der Gewerkschaft ab den 50er Jahren auf die staatliche Migrationspolitik reagierten. Sie thematisiert die Konflikte in Gewerkschaft und Betrieben, aber auch welche politischen und gewerkschaftlichen Erfahrungen die Einwanderer aus ihrer Heimat mitbrachten.

Bereits 1960 forderte der IG-Metall-Vorsitzende Otto Brenner auf dem Gewerkschaftstag die Funktionäre der Gewerkschaft auf, sich der Interessenvertretung und Schulung der »ausländischen Kollegen anzunehmen«. Zwei Jahre später konnten erstmals Vertrauensleute nicht-deutscher Herkunft auf dem Gewerkschaftstag begrüßt werden. Wie ein migrantischer Gastdelegierter deutlich machte, forderten die Migranten »keine Betreuung, sondern Mitarbeit und Integrierung im gesellschaftlichen Leben«. Mit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 erhielten Arbeiter ohne deutschen Pass auch aus Nicht-EG-Staaten erstmals das aktive und passive Wahlrecht zu den Betriebsratswahlen.

Die dennoch geringe Repräsentanz von Migranten in den gewerkschaftlichen Gremien war im folgenden Jahr eine Ursache für eine Welle von »wilden Streiks« vornehmlich migrantischer Arbeiter. Forderungen nach einer allgemeinen Teuerungszulage und einer Angleichung der Löhne an die der deutschen Kollegen, aber auch verbesserte Arbeitsbedingungen durch eine Reduzierung des Akkords, bessere Pausen- und Urlaubsregelungen sowie generell eine Abschaffung der unteren Lohngruppen konnten nicht durchgesetzt werden. Weder die Mehrzahl der IG-Metall-Betriebsräte- und Vertrauensleute noch die Gewerkschaft unterstützten sie. Bekanntestes Beispiel ist der Streik beim Autoproduzenten Ford. Im Werk in Köln-Niehl hatten rund 70 Prozent der 24.000 Arbeiter keinen deutschen Pass. Während der Organisationsgrad der deutschen Arbeiter bei gerade einmal 50 Prozent lag, waren 90 Prozent der Migranten in der Gewerkschaft. Doch nur fünf von 53 Betriebsratsmitgliedern hatten einen Migrationshintergrund. Der Streik scheiterte an der durch Werksleitung, Betriebsrat und Medienhetze gegen »Türken-Terror« verschärften Spaltung der Belegschaft in deutsche und ausländische Arbeiter.

Die hatte sich bereits im Arbeitsprozess verfestigt. Migranten arbeiteten fast ausschließlich in der niedrigsten Lohngruppe als Hilfs- und Bandarbeiter in der Endmontage. Die besser ausgebildeten deutschen Arbeiter nahmen hingegen Vorgesetztenpositionen ein. Trotz der Niederlagen waren die wilden Streiks weichenstellend. Antirassistische Politik in der Gewerkschaft wurde begründet und nicht mehr nur formal bürgerrechtlich argumentiert. Die materielle Basis der migrantischen Arbeiter wurde thematisiert, wie die rassistisch motivierte Aufteilung des Arbeits- und Wohnungsmarktes. Erstmals hatten Migranten ihre Forderungen selbstbestimmt formulieren können.

Das verstärkte Bemühen der IG Metall um die Einbindung von Arbeitsmigranten speiste sich nun aus der Sorge, diese könnten sich eigene Vertretungen neben den Gewerkschaften schaffen. 1983 erkannte die IG Metall als erste Gewerkschaft Migranten als eigene Personengruppe an – vergleichbar mit Frauen oder Jugendlichen –, der das Recht eingeräumt wurde, auf allen Ebenen Migrationsausschüsse zu gründen und eine eigene Bundesmigrationskonferenz durchzuführen. Der erhoffte Effekt blieb allerdings aus. So sind heute Migranten zwar gut in der IG Metall organisiert, aber in den beschlussfassenden Gremien weiterhin nur schlecht repräsentiert.

Matziari zieht einen Vergleich zum Organisationsgrad von Frauen in der IG Metall, die nicht durch jahrzehntelange Aufforderungen nach besserer Beteiligung, sondern erst durch die Frauenquote eine angemessene Repräsentanz im Apparat erhielten. Von einem Großteil der Gewerkschaftsvorstände und Funktionäre würde zwar »beinahe folkloristisch Internationalismus und Solidarität mit allen Verdammten dieser Erde propagiert«, aber die Wettbewerbsfähigkeit des »Standorts Deutschland« verteidigt, weist Matziari auf einen weiteren Widerspruch hin. Standortnationalistische Argumentation fördere »rassistische Ressentiments bei den Deutschen und auch bei alteingesessenen Migranten gegenüber Neuzuwanderern«. Matziaris materialreiche Untersuchung sei trotz des ernüchternden Fazits über mehr als 50 Jahre gewerkschaftlicher Migrationspolitik allen in der gewerkschaftlichen oder antirassistischen Arbeit Aktiven ans Herz gelegt.

Rodoula Matziari: Migrantinnen und Migranten in der Industriegewerkschaft Metall – eine Erfolgsgeschichte? Edition Dialog, Duisburg 2014, 400 Seiten, 22 Euro