Junge Welt 03.08.2004 Feuilleton

 

Nicht glauben – denken!  

 

Seine Religion war keine Religion: Eine Briefmarke und eine Ausstellung in München erinnern an Ludwig Feuerbach  

 

 »Da kam Feuerbachs ›Wesen des Christenthums‹. Mit einem Schlag zerstäubte es den Widerspruch, indem es den Materialismus ohne Umschweife wieder auf den Thron erhob. Die Natur existiert unabhängig von aller Philosophie; sie ist die Grundlage, auf der wir Menschen, selbst Naturprodukte, erwachsen sind; außer der Natur und den Menschen existiert nichts, und die höhern Wesen, die unsere religiöse Phantasie erschuf, sind nur die phantastische Rückspiegelung unsres eignen Wesens«, beschrieb Friedrich Engels in seiner Schrift »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie« die »befreiende Wirkung dieses Buchs« auf ihn, Marx und andere Hegel-Schüler. »Die Begeisterung war allgemein: Wir waren alle momentan Feuerbachianer.«

Ludwig Andreas Feuerbach wurde am 28. Juli 1804 im niederbayerischen Landshut geboten. Sein Vater Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach hatte sich einen Namen als liberaler Strafrechtsreformer beim Aufbau des modernen Bayern sowie durch sein Engagement für das bis heute geheimnisumwitterte Findelkind Kaspar Hauser gemacht. Nach einem Theologiestudium in Heidelberg ging Ludwig Feuerbach zum Philosophiestudium nach Berlin, wo er zum Schüler Hegels wurde. Er brach mit dem Hegelschen philosophischen Idealismus und begründete einen anthropologischen Materialismus mit dem Menschen als höchstem Wesen in der Natur.

Die Deutsche Post ehrt nun Ludwig Feuerbach anläßlich seines 200. Geburtstags mit einer Sondermarke zu 1,44 Euro. In Erlangen, Nürnberg, Trier und Berlin fanden philosophische Kolloquien statt. Und die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, die Feuerbachs Bewerbung um eine Professur mehrfach kommentarlos zurückgewiesen hatte, widmet ihm eine kleine Ausstellung. Rund 100 Bände weitgehend unveröffentlichter Tagebücher, Manuskripte und Vorlesungen, die Feuerbachs Tochter Eleonore 1917 der Münchner Universität übereignete, lagern in der Nachlaßsammlung der Unibibliothek. Eine kleine Auswahl dieser Schätze werden zusammen mit Erstausgaben von Feuerbachs Schriften und Fotografien der Familie bis Mitte Oktober in 16 Vitrinen vor der Großen Aula präsentiert.

Es sei Zeit zu beweisen, »daß der in der ehemaligen DDR verehrte Philosoph in Wirklichkeit ein großer Humanist war und ein tief religiöser Mann, auch wenn er eine andere Vorstellung von Gott hatte als die Theologen«, erklärte Ausstellungsorganisatorin Cornelia Töpelmann gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Etwas anderes hatte die marxistische Feuerbach-Rezeption nie behauptet, aber für manche Zeitgenossen sind »Humanist« und »DDR« wohl immer noch Begriffe, die nicht unter einen Hut zu passen scheinen. »Keine Religion – ist meine Religion« hatte Feuerbach dagegen als Vertreter eines nicht aus Gott abgeleiteten Humanismus mehrfach erklärt.

Allerdings sah Feuerbach den Menschen als abstraktes Wesen und nicht als Produkt einer historischen Entwicklung. Erst Karl Marx und Friedrich Engels verbanden die Hegelsche Dialektik und den Feuerbachschen Materialismus als die beiden fortschrittlichsten Elemente der bürgerlichen Philosophie zum dialektischen und historischen Materialismus.

Als Atheist verschrien, blieb Feuerbach eine akademische Laufbahn verbaut, so daß er nach seiner Habilitation ab 1828 als Privatdozent und Publizist zuerst in Erlangen, dann in Ansbach und auf Schloß Bruckberg arbeitete. Seine 1830 anonym veröffentlichten »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit«, in denen der Auferstehungsglauben als »Wunschdenken« in Folge eines psychologischen »Unsicherheitsgefühls« entlarvt wurde, wurden in Bayern sofort nach Erscheinen verboten, gegen den Autor wurden polizeiliche Ermittlungen eingeleitet. 1841 erschien Feuerbachs Hauptwerk »Das Wesen des Christentums«. Feuerbach schrieb, daß nicht ein Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen habe, sondern vielmehr die Gottesidee eine Schöpfung des Menschen ist. »Mit diesen Worten schließe ich und wünsche nur, dass ich den Zweck dieser Vorlesung nicht verfehlt habe, den Zweck, Sie aus Gottesfreunden zu Menschenfreunden, aus Gläubigen zu Denkern, aus Betern zu Arbeitern und aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, aus Christen, welche ihrem eigenen Geständnis zufolge ›halb Tier, halb Engel‹ sind, zu Menschen, edlen, mit sich einigen Menschen zu machen«, pflegte Feuerbach seine Studenten zu verabschieden.

 

Nick Brauns