Aus: junge Welt Ausgabe vom 05.06.2019, Seite 10 / Feuilleton
Von jäher, wilder
Energie
Vor 100 Jahren wurde Eugen
Leviné, der Anführer der kommunistischen Bayerischen
Räterepublik, hingerichtet
Von Nick Brauns
Nach der Niederschlagung der Räterepublik im Mai 1919 wütete der weiße
Terror der Freikorps in München. Mit besonderem Eifer suchten Bürgerwehren
einen »jungen Mann von jäher und wilder Energie«, der nach Ansicht des
Publizisten Sebastian Haffner »möglicherweise das Zeug zu einem deutschen Lenin
oder Trotzki hatte«.
Eugen Leviné war 1883 als Sohn einer
Kaufmannsfamilie in St. Petersburg zur Welt gekommen. Obwohl er sich wenig mit
seiner jüdischen Herkunft beschäftigte, sollten ihn antisemitische Anfeindungen
Zeit seines Lebens begleiten. Über russische Exilanten kam Leviné,
der seit seinem 14. Lebensjahr in Deutschland lebte, während seiner Studienzeit
in Heidelberg ab 1903 in Kontakt mit revolutionären Ideen. Er schloss sich der
Sozialrevolutionären Partei an, die mit Attentaten für den Sturz des Zarismus
kämpfte und in den russischen Bauern die entscheidende revolutionäre Kraft
erblickte. Im Revolutionsjahr 1905 wurde der 22jährige Leviné
in Russland als Agitator und Waffenschmuggler aktiv. Nach einer Verhaftung 1908
in Minsk kaufte ihn seine Mutter, mit der er wegen seiner politischen Ideale
gebrochen hatte, für eine hohe Kaution frei.
Zurück in Deutschland, promovierte Leviné in
Staatswissenschaften über »Typen und Etappen in der Entwicklung
gewerkschaftlich organisierter Arbeiter«. In der Dissertation warnte Leviné vor dem »Versinken ins Kleinbürgerliche«, wenn
eigentlich kulturell gebildete Funktionäre der organisatorischen Kleinarbeit
erlägen. 1909 trat Leviné der SPD bei und hielt
Vorträge vor dem Karl-Marx-Klub in Mannheim und dem Gewerkschaftskartell.
Nach Beginn des Weltkrieges fand sich Leviné in
Berlin im Umfeld der konsequenten Internationalisten wieder, die den
Spartakusbund gründeten. Eine auf Folter in russischer Haft zurückzuführende
Erkrankung bewahrte Leviné, der mittlerweile die
badische Staatsangehörigkeit hatte, vor einem Fronteinsatz. 1915 heiratete er
seine Genossin Rosa Broido – später Rosa Meyer-Leviné –, mit der er einen Sohn hatte. Nach dem Sieg der
Oktoberrevolution arbeitete Leviné als Leiter der
Nachrichtenagentur Rosta in der sowjetischen Botschaft. Prägend für seine damalige politische
Entwicklung vom Sozialrevolutionär zum Kommunisten war die Erfahrung mit dem
Rätesystem in Russland. Nach dem Beginn der deutschen Novemberrevolution wurde Leviné von Arbeitern in Essen als einer von nur zwölf
Mitgliedern des Spartakusbundes zum Reichsrätekongress delegiert.
Auf der Gründungsversammlung der KPD zur Jahreswende 1918/19 sprach sich Leviné gegen eine Teilnahme an der Wahl zur
Nationalversammlung und gleichermaßen gegen putschistische
Konzepte aus. »Glaub ihr etwa, die reale Macht des Bürgertums wird gebrochen,
wenn ihr Maschinengewehre gegen sie auffahren lasst? Sie wird auch nicht
gebrochen, wenn ihr ein paar Genossen (in die Nationalversammlung, jW) hineinsetzt, sondern
nur durch den Kampf von außen, durch den Kampf im Betrieb und auf der Straße.« Daher gelte es, ein Rätesystem auf Grundlage von
Betriebsräten aufzubauen.
Mitte März 1919 schickte die KPD-Zentrale Leviné
nach München. Unter seinem Vorsitz lehnten die Kommunisten die Beteiligung an
einer am grünen Tisch von Sozialdemokraten und Anarchisten beschlossenen ersten
»Scheinräterepublik« ab. Gestützt auf Arbeitermilizen, gelang es den
Kommunisten, einen gegenrevolutionären Putschversuch abzuwehren. Unter Levinés Führung folgte Mitte April eine zweite
Räterepublik, die es nicht bei vollmundigen Proklamationen beließ, sondern an
die Umsetzung eines kommunistischen Programms der Arbeitermacht ging.
Als Jude, Russe und Kommunist zog sich Leviné
nicht nur den besonderen Hass des Bürgertums, sondern auch von Teilen der
Linken zu. Als die Mehrheit im Aktionsausschuss am 27. April zur
Beschwichtigung der vor München aufmarschierten Freikorps die Bildung einer
»bodenständigen Regierung« aus »echten Bayern« beschloss, trat Leviné vom Vorsitz des Vollzugsausschusses zurück.
Knapp zwei Wochen nach der Niederschlagung der Räterepublik wurde der
untergetauchte Leviné von einem Spitzel gegen ein
Kopfgeld verraten. »Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub, dessen bin ich
mir bewusst. Ich weiß nicht, ob Sie mir meinen Urlaubsschein noch verlängern
werden oder ob ich einrücken muss zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg«,
erklärte Leviné in seiner Verteidigungsrede vor dem
Gericht in der Münchner Au. Obwohl sich Leviné nicht
an den ihm vorgeworfenen »Geiselmorden« an Angehörigen der völkischen Thule-Gesellschaft beteiligt hatte, distanzierte er sich
nicht von dieser Tat.
»Vielleicht hätte er sein Leben retten können. Das wäre dann aber nicht
mehr das Leben eines revolutionären Führers gewesen und hätte seiner Sache
nicht mehr gedient«, beschrieb Rosa Meyer-Leviné
seine Motive. »Es gibt kein Schachern, wenn es um menschliche Integrität geht.
Ein kompromisslerischer, kriecherischer Leviné hätte
in einem langen Leben nicht mehr das erreicht, was er in seinen letzten Tagen
erreicht hat. Aus dem einfachen Grund, weil er dann moralisch tot gewesen
wäre.« Am 5. Juni 1919 wurde Leviné von einem
Exekutionskommando im Zuchthaus Stadelheim
hingerichtet. Seine letzten Worte lauteten: »Es lebe die Weltrevolution!«
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