Erdogans Satelliten

AKP-nahe Parteien versuchen Einfluss auf türkischstämmige Migranten in Europa zu nehmen

Von Nick Brauns

Lobbyisten aus dem Umfeld der türkischen religiös-nationalistischen Regierungspartei AKP sind seit einigen Jahren dabei, in mehreren europäischen Staaten Satellitenparteien aufzubauen, um Einfluss auf die türkische Diaspora zu nehmen.

Zu den Nationalratswahlen am 15. Oktober in Österreich tritt so erstmals bundesweit die von österreichischen Medien als „Migrantenpartei“ titulierte „Neue Bewegung für die Zukunft“ (NBZ) mit Kandidaten an. Hervorgegangen ist die seit Januar 2017 als Partei registrierte NBZ aus einer bereits seit 1999 bestehenden Fraktion in der Vorarlberger Arbeiterkammer, wo sie zurzeit vier der 70 Mandatare stellt. Der Obmann der NBZ, Adnan Dincer, behauptet zwar, dass das NBZ keine „Türken- und keine islamische Partei“ sei. Doch in der Führung der Partei finden sich ausschließlich türkischstämmige Personen, von denen viele eine deutliche Nähe zum türkischen Regierungsblock aus der AKP und der faschistischen MHP aufweisen. So macht Obmann Dincer aus seinen Sympathien für den türkischen Präsidenten kein Geheimnis. Erdogan habe „den Auslandstürken ihr Selbstbewusstsein zurückgegen“, erklärte Dincer im Oktober 2015. „Von den vorherigen Regierungen wurden diese vergessen, sie wurden lediglich als Devisenbringern angesehen. Erdogan sagt den im Ausland lebenden Türken immer wieder, dass sie stolz sein können, Türken zu sein.“ Viele Mitglieder des NBZ sind auch Mitglieder der Austrotürkischen Islamischen Union (ATIB, österreichisches Gegenstück zu DITIB in Deutschland), die direkt dem türkischen Religionsamt Diyanet untersteht. Andere stehen den faschistischen Grauen Wölfen nahe.  Der frühere Generalsekretär und jetzige Landesvorsitzende der NBZ in ihrem Stammland Vorarlberg, Murat Durdu, ist zugleich Vorsitzender des zum Graue-Wölfe-Spektrum zählenden Jugend- und Kulturvereins Safak (Morgenröte) in Dornbirn, für den er schon mal eine Gedenkveranstaltung für den MHP-Gründer Alparslan Türkes organisierte.  Der Jugendsprecher der Partei Riza Bozbiyik ist ehrenamtlich bei einem ATIB-Moscheeverein in Hörbranz tätig.

Programmatisch sieht Parteichef Dincer die NBZ als „österreichische Mitte-Rechts-Partei“ und „Partei für die Vergessenen“. Das Parteiprogramm ist dabei ein Sammelsurium aus wertkonservativen und wirtschaftsliberalen Forderungen.  Es findet sich aber auch die eher linke Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. So hofft die Partei, auch sozial schwache Personen aus der Mehrheitsgesellschaft anzusprechen. Außerhalb ihres Stammlandes Vorarlberg kann die NBZ zumindest in Wien auf eine gewisse Vorarbeit zurückgreifen. Denn dort trat bereits 2015 die Liste „Gemeinsam für Wien“ (GfW) des früheren Präsidenten der AKP-Lobbyvereinigung UETD Turgay Taskiran an und eroberte in Simmering, Favoriten und Brigittenau jeweils ein Mandat auf Bezirksebene. In Österreich leben fast 300.000 türkeistämmige Menschen, von denen rund 120.000 am 15. Oktober Wählen dürfen. Bei der letzten Nationalratswahl 2013 votierte mehr als die Hälfte der türkeistämmigen Migranten für die SPÖ oder die Grünen. Dass die NBZ bei der Nationalratswahl die Vier-Prozent-Hürde überspringt, hält selbst ihr Parteichef Dincer für unrealistisch.

Erfolglose BIG-Partei in Deutschland

In der Bundesrepublik gibt es zwei Parteien, die als Satelliten der AKP angesehen werden können. Bereits seit 2010 tritt das von konservativen türkischen Muslimen gegründete Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), das schon in seinem Namen die Nähe zur AKP wiederspiegelt, nahezu erfolglos bei Wahlen an.  Hervorgegangen ist BIG aus drei regionalen Wählervereinigungen in Bonn, Köln und Gelsenkirchen, die sich wiederum auf Moscheestrukturen stützten. Lediglich in Bonn hatte der BIG-Vorläufer „Bündnis für Frieden & Fairness“ (BFF), der als Reaktion auf den Streit um Mohamed-Karrikaturen 2006 gegründet worden war,  bei der Kommunalwahl 2009 zwei Mandate errungen. Vorsitzender von BIG ist Haluk Yildiz, der frühere Sprecher des „Rates der Muslime in Bonn“. Weitere Funktionäre kommen aus der AKP-Lobby UETD, bei der auch Yildiz gern gesehener Gast ist. Vehement verteidigte Yildiz bei TV-Auftritten rund um das Referendum zur Einführung einer Präsidialdiktatur in der Türkei im April 2017 Erdogan und sein autoritäres Vorgehen gegen Oppositionelle.

Im Bundestagswahlkampf 2013 warb das BIG, das Plakate in deutscher-, türkischer- und arabischer Sprache kleben ließ, mit offen homophoben Parolen für sich. Seit seiner Parteigründung konnte das BIG, das sich nach eigenen Angaben an rund 40 Wahlen beteiligt hatte, außer mit der Wiederwahl seines  Vorsitzenden Yildiz in den Bonner Stadtrat keine weiteren Mandate mehr erringen. Offenbar verhallten auch Wahlaufrufe der UETD unter den türkeistämmigen Migranten weitgehend ungehört. So trat das BIG 2016 bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus mit dem zum Islam konvertierten deutschen Erdogan-Fan und Aktivisten Martin Lejeune an, der gerade einmal 73 Stimmen in seinem Wahlkreis bekam. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017 erhielt BIG 17.421 Zweitstimmen (0,21%). Zur Bundestagswahl im September 2017 rief die Partei zum Wahlboykott auf und begründete dies mit dem Appell Erdogans an die Deutsch-Türken, keine „Türkeifeinde“ zu wählen.  BIG werde sich nicht für einen auf „antidemokratischen und auf radikalen Populismus basierenden Wahlkampf“ instrumentalisieren lassen, hieß es in der ausschließlich auf Türkisch verbreiteten Erklärung. So beklagte Yildiz, dass Erdogan von den deutschen Parteien „dämonisiert“ werde, um daraus wahlkampftechnischen Profit zu schlagen. Bis 2019 – wenn mehrere Landtagswahlen anstehen – will das BIG die Wahlbeteiligung der türkischstämmigen Wähler in Deutschland erhöhen. Es gelte die türkische Community in Deutschland geschlossen in einer Partei zu vereinen, die sich für ihre Rechte und Interessen einsetzt. „Das kann ausschließlich die BIG-Partei sein“, behauptet Yildiz trotz der bisherigen gänzlichen Erfolglosigkeit der Splittergruppe.

Mit Erdogan-Plakaten zur Bundestagswahl

Eine ernstzunehmende Konkurrenz ist BIG indessen mit der Allianz Deutscher Demokraten (ADD) erwachsen. Dies wurde von dem türkischen IT-Unternehmer Remzi Aru 2016 direkt nach der Bundestagsresolution zur Anerkennung des türkischen Völkermordes an den Armeniern mit dem Argument gegründet, „ab heute ist keine deutsche Partei mehr für einen Menschen mit türkischen Wurzeln wählbar“. In Fernsehtalkshows, so bei Maischberger und in einer Phoenix-Runde, hatte sich Aru damals bereits einen Namen als vehementer Verteidiger Erdogans gemacht, der nicht davor zurückschrecke, türkeistämmige  Linken- und Grünenpolitiker wie Sevim Dagdelen und Cem Özdemir als Terrorsympathisanten zu beschimpfen. Die beiden weiteren Mitgründer sind der Anwalt Ramazan Akbas und der Juwelier Halil Ertem. Nach einem Rechtsstreit mit der deutsch-völkischen Alternative für Deutschland (AfD) darf sich die ADD auf ihren Plakaten nur noch AD-Demokraten nennen. Dabei ähneln sich nicht nur die Parteilogos, auch die programmatische Mischung aus moralisch konservativen, wirtschaftlich neoliberalen und nationalistischen Standpunkten im ADD-Programm erscheint passagenweise wie eine türkische Kopie des AfD-Programms. So sieht die Partei ihr Feindbild in Feminismus und Gender Mainsteaming und betont Ehe und Familie als Fundament der Gesellschaft, wobei als Ehe aus Sicht der ADD nur die Gemeinschaft von Mann und Frau gilt. Statt Schulpflicht fordert die ADD eine „Bildungspflicht“ mit externen Betreuungseinrichtungen – die wäre ein weiterer Türöffner für religiöse Bildungsanstalten jenseits staatlicher Schulen. Obwohl die ADD vorgibt, die „Stimme der kleinen, der einfachen Menschen im Land“ zu sein, unterstützt sie die nur dem Großkapital nutzenden arbeitnehmerfeindlichen Freihandelsabkommen TTIP und CETA.

Erstmals trat die ADD im Mai 2017 zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an, wo rund 200.000 türkeistämmige Wahlberechtigte leben. Damals bekam die ADD 12688 Stimmen (0,1 %), wobei auf die um dasselbe Wählerspektrum konkurrierende BIG-Partei 17421 Stimmen entfielen. Zur Bundestagswahl trat die ADD nur in Nordrhein-Westfahlen an und konnte ihre Stimmen gegenüber der Landtagswahl bereits auf 41.178 (0,4%) deutlich mehr als verdreifachen. Nicht die fehlende Konkurrenz durch das zum Wahlboykott aufrufende BIG hatte ihr dabei geholfen, sondern wohl auch Erdogans Appell an die Deutsch-Türken, den vermeintlich türkeifeindlichen Parteien CDU, SPD und Grünen keine Stimmen zu geben. So hängte BIG im Wahlkampf Plakate mit dem Bild Erdogans und dessen Zitat „Türkei-Freunde - Steht mit ihnen zusammen! Gebt ihnen Eure Stimmen! Wachst mit ihnen“ auf und suggerierte so, der türkische Präsident habe direkt zur Wahl der ADD aufgerufen. Dass die ADD in NRW im Gesamtergebnis auf lediglich 0,4 Prozent der Stimmen kam, darf nicht als Entwarnung verstanden werden. Denn die ADD richtete sich ausschließlich an türkeistämmige Wähler, von denen sie in NRW bereits jeden Fünften erreichen konnte. Darauf kann die Partei bei ihrer weiteren Etablierung setzten. Das Potential wäre da, wie eine Umfrage von Correctiv.Ruhr im Mai 2017 ergab, bei der rund ein Drittel der befragten türkeistämmigen Wähler in NRW sich für die ADD oder BIG ausgesprochen hatten. Als Erfolg kann die ADD zudem die mediale Aufmerksamkeit in türkischen wie deutschen Medien verbuchen. So dürfte es der türkischen Regierungspartei vorerst auch weniger um Parlamentsmandate ihrer Satelliten in Deutschland gehen als darum, neben der im Hintergrund die Strippen ziehenden Vereinigung UETD und dem aufgrund von Spionagevorwürfen in der Öffentlichkeit stark unter Druck geratenen Moscheenverband DITIB auch über einen durch das grundgesetzliche Parteienprivileg besonders geschützten politischen Arm in Deutschland zu verfügen, um auf die türkeistämmige Diaspora propagandistisch im Sinne des Erdogan-Regimes einzuwirken.

Senkrechtstarter DENK in den Niederlanden

Einen „historischen Augenblick“ konnte die von vielen Medien als „erste Migrantenpartei Europas“ bezeichnete Bewegung DENK nach eigenen Angaben bei den Parlamentswahlen 2017 in den Niederlanden erringen. Mit 2,1 Prozent der Stimmen zog die Partei mit drei Abgeordneten in die Zweite Kammer des Parlaments ein. In den beiden Großstätten Rotterdam und Den Haag hatte DENK mit 8,1 und 7,1 Prozent sogar besser als die Sozialdemokraten abgeschnitten. Der Wahlerfolg von DENK war nicht nur eine Reaktion auf die rassistische und islamfeindliche Hetze von Geert Wilders und seiner rechtspopulistischen „Partei der Freiheit“. Auch die Polarisierung unter den rund 400.000 Niederländern mit türkischen Wurzeln durch die von der niederländischen Regierung in den Tagen vor der Parlamentswahl untersagten Auftritte türkischer Minister, die für das Präsidialreferendum in der Türkei werben wollten, muss hier berücksichtigt werden.

Die Partei, deren Name auf Niederländisch „denke“ und auf Türkisch „gleichwertig“ bedeutet, wurde im Februar 2015 von den beiden türkischenstämmigen Abgeordneten Selcuk Öztürk und Tunahan Kuzu ins Leben gerufen. Diese Abgeordneten hatten zuvor die Fraktion der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA) aus Protest gegen ein Integrationskonzept verlassen, dass eine schärfere Überwachung islamischer Verbände wie den der türkischen Religionsbehörde Diyanet angeschlossenen Moscheenvereine, Milli Görüs, der Suleymancilar aber auch der  Gülen-Bewegung beinhaltete. Kritisiert hatten die beiden Abgeordneten zudem eine Studie des sozialdemokratischen Sozialministers Lodewijk Asscher, wonach junge türkischstämmige Niederländer große Sympathien mit der Terrororgaisation Islamischer Staat empfänden.

Laut ihren Gründern versteht sich DENK als „Stimme der Einwanderer“ sowie als Gegenbewegung zur rassistischen und islamfeindlichen „Partei der Freiheit“ von Geert Wilders. Das politische Manifest von DENK betont den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung. Gefordert wird etwa ein „Rassismusregister“, in das Beamte eingetragen werden sollen, die sich rassistisch oder islamfeindlich geäußert haben. „Die Zeit der Integration ist vorbei“, heißt es provokativ in dem Manifest, dass faktisch auf die Schaffung einer islamischen Parallelgesellschaft zielt.

Anders als die österreichische NBZ oder ADD und BIG in Deutschland ist es DENK gelungen, sich zumindest in ihrer Außendarstellung breiter aufzustellen, um nicht als reine „Türkenpartei“ zu erscheinen. So verfügt die Partei durch die TV-Moderatorin Sylvana Simons, deren Familie aus der Karibik stammt, über ein bekanntes Gesicht. Mit Farid Azarkan gewann sie zudem einen Vertreter marokkanischer Einwanderer. Eine frühere „Miss Niederlande“ ist Parteisprecherin. Trotz solcher Aushängeschilder wird immer wieder eine bedingungslose Unterordnung von DENK unter die türkischen Regierungspolitik deutlich. In ihrem Programm zur Parlamentswahl 2017 leugnete die Partie so explizit den Vorwurf eines türkischen Völkermordes an den Armeniern im ersten Weltkrieg und trat für eine „unabhängige internationale Untersuchung“ dieser von Historikern weltweit längst belegten geschichtlichen Ereignisse ein.  Bei einer Parlamentsabstimmung zum Armeniergenozid veröffentlichte DENK ein Video, das die türkeistämmigen Abgeordneten mit Namen und Foto an den Pranger stimmte, wenn sie mit „ja“ gestimmt hatten. Als die niederländisch-türkische Journalistin Ebru Umar im April 2016 während eines Türkeiurlaubs aufgrund eines Erdogan-kritischen Kommentars in der niederländischen Gratiszeitung metro festgenommen wurde, rechtfertigten die DENK-Abgeordneten das türkische Vorgehen.

Gemeinsamer Kampf statt nationalistischer Spaltkeile

Parteien wie DENK, NBZ, ADD oder die in dieser Reihe auch zu nennende Partei für Gleichheit und Gerechtigkeit (Parti Egalité Justice) in Frankreich sind der verlängerte Arm Erdogan unter der millionenstarken türkeistämmigen Migration in Europa. Es sind Parteien, deren Führungskräfte einem zutiefst antidemokratischen, autoritären und rassistischen Regime mit völkermörderischen Tendenzen in der Türkei huldigen. Dass es solchen Parteien dennoch partiell gelingt, sich als Stimme von Migranten und Muslimen gegen Rassismus und Diskriminierung darzustellen, hat mit der reellen Ausgrenzungserfahrung vieler Migranten zu tun. Dazu kommt der Aufstieg offen rassistischer und islamfeindlicher Parteien wie der Freiheitlichen in Österreich, des Front National in Frankreich, Geert Wilders Partei der Freiheit in den Niederlanden und der AfD in Deutschland. Dies hat auch die Agenda der sozialdemokratischen und konservativen Parteien weiter nach rechts getrieben. Zudem haben die etablierten Parteien vielfach ein instrumentelles Verhältnis zu ihren migrantischen Mitgliedern und Kandidaten, es geht um die Erschließung von Wählerspektren aber nicht um wirkliche Mitgestaltung. Migrantische Selbstorganisationen sind wichtig, um die sozialen Interessen der Einwanderer nach außen zu verteidigen. Doch darum geht es den AKP-Satelliten gerade nicht. Diese missbrauchen Teile der unter realen Diskriminierungen leidenden türkeistämmigen Migration vielmehr, um sie als Lobby der türkischen Regierung ins Feld zu führen. Während diese Parteien vorgeben, im Namen aller Migranten und Muslime zu sprechen, tragen sie in Wahrheit Spaltkeile in die türkeistämmige Migration.

Die zum Teil seit mehreren Generationen schon in Europa lebenden Einwanderer sind Teil der dortigen Gesellschaften, mit denen sie dieselben Sorgen über Arbeitslosigkeit, Bildungsmisere, fehlende Ausbildungsplätze und steigende Mieten teilen. Allerdings sind Migranten von der sozialen Misere ungleich stärker betroffen wie die einheimische Bevölkerung. Die Antwort kann aber nicht in einer ethnisch oder religiös basierten Abkapselung von der Mehrheitsgesellschaft liegen, sondern nur im gemeinsamen Kampf mit den demokratischen Kräften der jeweiligen Länder für gleiche soziale und demokratische Rechte für alle dort lebenden Menschen.

Yeni Özgür Politika 14. Oktober 2017