junge Welt 29.11.2006 / Ausland / Seite 2
In den kurdischen Landesteilen der Türkei soll im Rahmen des
Südostanatolienprojektes GAP am Oberlauf des Tigris ein Großstaudamm errichtet
werden. Warum lehnen Sie das Projekt ab?
Der Nutzen bei der Energiegewinnung ist gering, aber der Bau
des Ilisu-Staudammes wird viele negative Auswirkungen auf sozialem,
ökologischem und kulturellem Gebiet haben. Wir sehen hinter den Plänen vor
allem politische Gründe in bezug auf den Irak und Syrien. Die Möglichkeit,
diesen Ländern das Wasser abzudrehen, wird das Konfliktpotential in der Region
erhöhen.
Welche Folgen hat der Staudammbau für die Bevölkerung in der
betroffenen Region?
Nach dem offiziellen Bauplan sind 199 Siedlungen und die
Kleinstadt Hasankeyf im Weg. 55000 Menschen sollen umgesiedelt werden. Die
Hälfte der örtlichen Bevölkerung besitzt kein eigenes Land, sondern arbeitet
für Großgrundbesitzer. Diese Menschen werden die großen Verlierer sein, weil
sie keine Entschädigung erhalten. Aber auch Kleinbauern, die eine finanzielle
Entschädigung bekommen, sind auf das Leben in den Städten nicht vorbereitet.
Sie werden keine Arbeit finden und das Geld nach ein paar Jahren verbraucht
haben. Großstädte wie Batman und Diyarbakir müßten Zehntausende neue Zuwanderer
aufnehmen. Dies würde die sozialen Probleme dort noch weiter verschärfen.
Warum steht die Stadt Hasankeyf im Mittelpunkt der Proteste?
Hasankeyf ist eine mindestens 9000 Jahre alte Stadt mit den
Spuren von rund 20 Kulturen. Der Ort ist so etwas wie ein Freilichtmuseum mit
6000 Wohnhöhlen und 300 Monumenten. Hier bilden Natur und Kultur eine Einheit.
Hasankeyf könnte der Schlüssel zu einer Entwicklung der Region durch
Kulturtourismus sein.
Die türkische Regierung schlägt vor, einige Monumente aus dem Ort an
anderer Stelle in einem Kulturpark wieder aufzubauen. Ist das realistisch?
Türkische Archäologen sagen, daß das technisch nicht machbar
sei. Außerdem steht Hasankeyf in engem Zusammenspiel mit der Natur. Der Ort
verliert diese Besonderheit, wenn die Pfeiler der mittelalterlichen
Steinbrücke, die einmal die größte der Welt war, zwei Kilometer weiter
aufgebaut werden. Auch nichtüberflutete Teile der Stadt wie der Burgberg würden
mit der Zeit einstürzen, weil der Kalkstein vom Stausee zerstört wird.
Welche Möglichkeiten des Widerstandes sehen Sie?
In der Region gibt es seit Jahrzehnten
Menschenrechtsverletzungen, und die Kämpfe zwischen der türkischen Armee und
der kurdischen Guerilla haben wieder zugenommen. In dieser Atmosphäre ist
Protest nicht einfach. Wir besuchen regelmäßig die betroffenen Dörfer, um die
Menschen besser zu organisieren und über ihre Rechte aufzuklären. Im August
haben wir am Tag vor der Grundsteinlegung für den Damm ein Protestkonzert mit
10000 Teilnehmern veranstaltet. Wir versuchen, über die Gefahren des
Staudammbaus in nationalen und internationalen Medien zu informieren. Vor dem
Europäischen Gerichtshof und türkischen Gerichten laufen Verfahren, weil die
Regierung mit dem Dammbau auch gegen türkisches Recht verstößt.
Der 1,2 Milliarden Euro teure Ilisu-Damm soll von einem von der
österreichischen Firma VA TechHydro geführten Konsortium gebaut werden, an dem
auch der Stuttgarter Baukonzern Ed. Züblin AG sowie der Schweizer Anlagenbauer
Alstrom beteiligt sind. Ed. Züblin hat bei der Bundesregierung
Hermesbürgschaften in Höhe von 200 Millionen Euro beantragt. Wie ist der Stand?
Bislang ist keine Entscheidung
gefallen. Wir rechnen in den nächsten Monaten mit einem Ja mit Auflagen. Ich
bin dennoch zuversichtlich, daß wir den Staudammbau noch stoppen können, weil
die Menschen in der Region sich immer besser organisieren, das mediale
Interesse wächst und dieser Damm gegen internationale Konventionen verstößt.