"Marxist zwischen Ost
und West"
Domenico Losurdo hat den
Marxismus Antonio Gramscis untersucht
Von Nick Brauns
In der internationalen marxistischen Diskussion
reißt das Interesse an Antonio Gramscis, dem Begründer der Italienischen
Kommunistischen Partei, der an den Folgen von Mussolinis Kerkerhaft starb,
nicht ab. Von Domenico Losurdo liegt jetzt das Buch "Der Marxismus Antonio
Gramscis" auf deutsch vor.
Der Titel täuscht etwas. Denn dieses Buch gibt
keinen Überblick über die Theorien des italienischen Marxisten und ist schon
gleich gar keine Einführung. Vielmehr geht es dem Autor darum, Gramscis
Stellung in der Philosophiegeschichte und der Entwicklung des Marxismus
herauszuarbeiten.
Der Autor Domenico Losurdo, Professor für
Philosophie an der Universität Urbino in Italien und Präsident der
Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie - Societas Hegeliana
ist junge-Welt Lesern kein Unbekannter. Eine mehrteilige Serie widmete sich dem
Thema "kommunistische Bewegung zwischen Selbstkritik und Selbsthass".
Die Herausgabe der leider gekürzten deutschen
Ausgabe seines Gramsci-Buches besorgte Professor Harald Neubert, der sich
augenblicklich im Rahmen des Marxistischen Arbeitskreises zur Geschichte der
Arbeiterbewegung bei der historischen Kommission der PDS um eine neue
Gramsci-Rezeption bemüht.
Angesichts der katastrophalen Niederlage, die die
internationale Arbeiterbewegung mit dem Zusammenbruch der Mehrheit der
nichtkapitalistischen Staaten 1989 erlebt hat, sieht Losurdo eine besondere
Aktualität Gramscis. "Gramsci war ein Autor und Politiker ersten Ranges,
der die Tragödie der Niederlage der Arbeiterbewegung und die Tragödie des
Sieges des Faschismus miterlebt hat; gerade deshalb hat er gezwungenermaßen die
Hoffnung auf eine rasche und definitive revolutionäre Palingenese aufgegeben
und sich vielmehr mit der Analyse des komplexen und widersprüchlichen
Charakters und den langen Zeiten des Prozesses der politischen und sozialen
Transformation beschäftigt." Dabei weist Losurdo alle Versuche zurück,
Gramsci "in eine Art italienischen Horkheimer oder Adorno" zu
verwandeln, wie es bei Teilen der akademischen Seminar-"Marxisten"
gerne geschieht.
Der erste Themenkomplex schildert den Weg Gramscis
zum Kommunismus. Losurdo geht auf die Einflüsse führender Vertreter des
italienischen Liberalismus wie Benedetto Croce und Giovanni Gentile auf den
jungen Gramsci ein und weist darauf hin, dass in den frühen Schriften Gramscis
Hinweise auf Antonio Labriola, dem "Vater des Marxismus in Italien" wieder
Erwarten kaum finden lassen.
Zum entgültigen Bruch mit dem Liberalismus führt die
Erfahrung des ersten Weltkrieges, als Croce und andere Vertreter des
Liberalismus die "Verteidigung des Vaterlandes und den Ruhm des
Vaterlandes über die Partei- und Klassengegensetze" stellten. Das Erbe des
bürgerlichen Liberalismus lebt für Gramsci in der kommunistischen Bewegung
weiter. Während Hegel für Lenin vor allem der Theoretiker der Dialektik ist,
sieht Gramsci im Werk des deutschen Philosophen den theoretischen Ausdruck der
Französischen Revolution. Die Philosophie der Praxis, also der Marxismus sei,
so Gramsci, "gleich Hegel + David Ricardo", da zwischen der deutschen
philosophischen Sprache und der französischen politischen Sprache eine
substantielle Identität herrsche.
Vor diesem Hintergrund ist die Änderung des
Italienischen Titels des Buches "dal liberalismus al "comunismo
critico"" in der deutschen Übersetzung in "Von der Utopie zum
"kritischen Kommunismus" unverständlich.
Als wesentliches Element von Gramscis Marxismus
sieht Losurdo dessen Behandlung der nationalen Frage. Gramsci stand dem Konzept
der Kommunistischen Internationale als "rigoros zentralisierte
kommunistische Weltpartei" mit dem Ziel einer "internationalen
Räterepublik" als zu mechanisch ablehnend gegenüber. In seinen
Gefängnisheften hob Gramsci hervor, dass ein Kommunist "zutiefst
national" sein müsse, um seinem "Internationalismus" Konkretheit
zu verleihen. Jede Revolution sei zum Scheitern verurteilt, die nicht in der
Lage ist, sich in der Nation und dem Volk zu verwurzeln und auf diese Weise
eine national-populäre Revolution wird. Im Bezug auf die mit Gabi Zimmers
Parteitagsrede in der PDS losgestoßene Debatte über die Haltung der Linken zur
Nation muss aber betont werden, dass "proletarischer Patriotismus"
lediglich als Element revolutionär-kommunistischer Politik gerechtfertig sein
kann. Wenn die "Liebe zu Deutschland" einer Reformistin wie Gabi
Zimmer aber dazu dient, ein Bündnis mit Schröders Kriegs-SPD zu forcieren, hat
dies absolut nichts mit Gramscis Behandlung der nationalen Frage zu tun,
sondern ist eine peinliche Anbiederung an die chauvinistische "deutsche
Leitkultur"!
Im Zusammenhang mit der nationalen Frage finden sich
in Gramscis Gefängnisschriften einige Spitzen gegen Trotzki, dem er Revolutionsexport
und "anachronistischen und widernatürlichen Napoleonismus" vorwirft.
Losurdo übernimmt diese Angriffe unkritisch, obwohl sich in Trotzkis Schriften
keine Hinweise für diese Behauptung finden lassen. Losurdo rechnet es Gramscis als
besonderes Verdienst an, Lenins Genialität als Politiker, der es verstand,
Slawophilie und westlich geprägtes Denken zu überwinden, um den Marxismus auf
Russland anzuwenden, kenntlich gemacht zu haben. Diese Erkenntnis hat
allerdings der von Losurdo und Gramsci verfemte Trotzki im Abschnitt
"Lenin als nationale Gestalt" in seiner unvollendeten
Lenin-Biographie gleichermaßen herausgestellt.
Ausführlich geht Losurdo auf Unterschiede zwischen
Gramscis und Lenins Marxismus ein.
So findet sich bei Gramsci eine deutliche
Einschränkung der These vom Absterben des Staates beim Übergang zum
Kommunismus. Bei der Auseinandersetzung mit dem Anarchismus distanziert sich
Gramsci auf diese Weise auch von verkürzten Darstellungen in Lenins "Staat
und Revolution", die den Sozialismus als "Laufsteg" zur Anarchie
erscheinen lassen. Tatsächlich ging auch Gramsci von einem Verschwinden des
Staatsapparates aus, er verwies aber auf die Rolle der Zivilgesellschaft, die
für ihn Teil des Staats ist und sprach von einem "Wiederaufgehen der
politischen Gesellschaft in der Zivilgesellschaft". Diese
Zivilgesellschaft, die Selbstorganisation der Menschen, ist für Gramsci die Basis der
"regulierten Gesellschaft", wie er im Angesicht der Gefängnis-Zensur
den Kommunismus bezeichnete.
Während Losurdo die Haltung Gramscis gegenüber dem
sozialistischen Staat gut herausarbeitete, fehlt leider eine ebensolche Analyse
von Gramscis Konzeption gegenüber dem bürgerlich-kapitalistischen Staat. Und
gerade Gramscis Hegemoniekonzept des langsamen Unterwanderns und Erkämpfens von
Bastionen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft durch die Arbeiterbewegung
war es schließlich, die einer reformistischen Interpretation Tür und Tor
öffnete. Der "historische Kompromiss" der Kommunistischen Partei
Italiens, also die angestrebte Allianz mit der christdemokratischen Partei
geschah ebenso im Namen Gramscis, wie die Revision zum
"Eurokommunismus". Wieweit hier Gramscis Theorie missbraucht wurden,
wird in Losurdos Untersuchung leider nicht deutlich.
Während Lenin die ideologische Dekadenz und die
Fäulnis der Bourgeoise im Imperialismus in den Fordergrund stellt, um damit auf
die Aktualität der proletarischen Revolution hinzuweisen, arbeitete Gramsci im
Angesicht des Abebbens der revolutionären Bewegung die Innovationsfähigkeit der
bürgerlichen Ideologie heraus. So sei das Bürgertum sogar in der Lage, Elemente
marxistischer Ideologie zu integrieren und kleinbürgerliche Intellektuelle aus
der Arbeiterbewegung abzuwerben, mit deren Hilfe die bürgerliche Hegemonie über
die Arbeiterklasse aufrechterhalten wird. Dies geschieht heute auch mit einigen
aus dem Zusammenhang gerissenen Gedanken Gramscis, vor allem mit dem Begriff
der "Zivilgesellschaft", der heute zum Kampfbegriff der "Neuen
Mitte" gegen die Arbeiterbewegung herhalten muss. "Weder die
Benutzung der den Gefängnisheften entnommenen Kategorien durch Kreise, die der
Welt Gramscis auf kultureller und politischer Ebene fern stehen, noch der
Versuch, Gramsci in die Sphäre angeblich metapolitischer Klassik zu erheben, bedeutet
das Ende des politischen und kulturellen Kampfes im Hinblick auf diese
außergewöhnliche Persönlichkeit des 20.Jahrhunderts", ist Losurdo im
Hinblick auf den Marxisten "zwischen Ost und West" zuversichtlich.
Domenico Losurdo: Der Marxismus Antonio Gramscis -
Von der Utopie zum "kritischen Kommunismus"; VSA-Verlag 2000
174 Seiten